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Kultur: „Wir fürchten uns vor den Konsequenzen“
Ein Gespräch über Huhn Rudi, Frutarier und das Buch „Anständig essen“, aus dem Karen Duve am Mittwoch im Waschhaus liest
Stand:
Frau Duve, haben Sie nicht gelegentlich gewisse Befürchtungen, was die Zukunft betrifft?
Ja klar, ich mache mir da schon Sorgen. Es ist ja nicht mehr zu übersehen, dass wir es gerade mit einer globalen Erwärmung zu tun haben.
Oh, ich glaube, ich habe mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Mich interessieren Ihre Sorgen um die eigene Zukunft.
Ach so. Inwiefern?
Es geht um das Bild von Karen Duve, das die Leute vielleicht von Ihnen haben werden. Haben Sie nicht ein wenig Angst davor, dass, wenn Ihr Name fällt, es dann immer heißen wird: Ach, das ist doch die Frau mit dem Huhn?
Als ich anfing „Anständig essen. Ein Selbstversuch“ zu schreiben, habe ich mir schon Sorgen gemacht, dass das möglicherweise ein Thema sein könnte, mit dem man sich diskreditieren könnte. Aber mir war das Thema zu wichtig. Natürlich besteht da immer die Gefahr, in diesen sentimentalen Bereich abgeschoben zu werden. Und dann kam auch noch dieses Huhn dazu.
Das Huhn mit dem Namen Rudi.
Ja, und da dachte ich: Hoffentlich wird das jetzt nicht das Thema banalisieren. Denn es geht ja um ein ernstes Thema.
Um „Anständig essen“.
Vor allem darum, dass unsere Gesellschaft es sich nicht mehr erlauben kann, Fleisch auf diese Art herzustellen und in dieser Menge. Dass da ein Selbstverständnis her muss, dass Tiere nicht mehr auf diese Art gequält werden. Und dann komme ich da mit einem Huhn auf der Schulter an. Da stellt sich natürlich die Frage: Ist das nicht ein bisschen doof?
Und wie lautet Ihre Antwort?
Dass Rudi einen schönen Gegenpol zu der Einstellung geliefert hat, dass man Tiere, und gerade auch Hühner, nicht einfach nach Kilogramm pro Quadratmeter bemisst und als Nutztiere sieht. Und auch wenn das Bild albern und sentimental wirken mag, zeigt es doch gleichzeitig, dass es sich hier um ein Individuum handelt, das einen Charakter und vielleicht sogar eine Persönlichkeit hat. Und es ist immer schön, wenn ich darüber spreche, wie diese Tiere zu Tausenden gehalten werden und Henne Rudi sitzt daneben und macht irgendeinen Blödsinn. Denn das emotionale Nachvollziehen geht am Beispiel eines Individuums leichter als wenn man jetzt nur nackte Zahlen nennt.
Mal ganz ehrlich, kam die Idee für das Buch „Anständig essen“ von Ihnen oder war das ein Vorschlag vom Verlag, weil sich diese Art von Entscheidungshilfeliteratur gerade so gut verkauft?
Nein, die Idee kam von mir. Der Verlag war da eher zurückhaltend, da hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Ich glaube, die sprachen sogar von einer Art „Zwischenbuch“, an dem ich nicht so lange arbeiten sollte. Und zu der Zeit war das auch überhaupt kein Thema, da wusste ich auch nicht, dass der Amerikaner Jonathan Safran Foer mit „Tiere essen“ ein Buch zum gleichen Thema veröffentlichen würde.
Aber jetzt, nachdem „Anständig essen“ so gefragt ist, ist der Verlag doch bestimmt nicht mehr so zurückhaltend?
Nein, jetzt ist der sogar sehr zufrieden.
Ist Ihr Buch zur Ratgeberliteratur zu zählen?
Ich wollte schon immer ein Buch über unser Verhältnis zu Tieren schreiben. Aber ich wusste nicht aus welcher Perspektive, weil ich nie in der Position war, den Leuten zu sagen: So müsst ihr es machen! Denn ich habe mich wie so viele immer wieder gefragt, wieso ich von diesen unhaltbaren Bedingungen weiß, das aber keine Konsequenzen auf mein Leben hat. Daher würde ich „Anständig essen“ als eine Art Reiseführer bezeichnen. Ich bin schon mal vorausgegangen, um zu zeigen, was auf einen zukommt, wenn man sich entscheidet, genau hinzusehen.
Was ist der Grund für diese Diskrepanz in uns? Wir wissen um die Umstände, ändern unser Verhalten aber trotzdem nicht.
Wir machen es wider besseres Wissen, wir verweigern an einem bestimmten Punkt das Denken, weil wir uns vor den Konsequenzen fürchten. Hinzu kommt das Gewohnheitsgefühl: Das habe ich schon immer gemacht, und die anderen machen das auch. Wir laufen durch den Supermarkt und alle anderen kaufen auch dieses Fleisch. Das bestätigt uns ganz stark in dem Gefühl, dass wir nichts Falsches machen. Aber je weniger Fleisch wir essen, umso näher kommen wir an ein Wertesystem heran, das eigentlich unserer Vorstellung von Verantwortung und Ethik entspricht.
Was wäre der erste Schritt in diese Richtung?
Der erste Schritt wäre die Bereitschaft, hinzuschauen. Dass wir uns darüber informieren, wie unsere Nahrung eigentlich hergestellt wird. Dann ergeben sich für jeden einzelnen ganz individuell die Konsequenzen, denn keiner kann wollen, dass unsere Nahrung auf diese Art und Weise hergestellt wird.
Wir betrachten solche Tiere ja nach ihrem Nutzwert für unsere Ernährung, wir entpersonalisieren sie. Könnte sich unser Verhalten möglicherweise ändern, wenn auf der Packung mit dem gefrorenen Hühnchen im Supermarkt stehen würde: „Dieses Huhn hieß Elfriede und war sehr anhänglich“?
Allein die Tatsache, wenn da ein Aufkleber drauf wäre mit der Aufschrift: „Ich war mal ein Huhn. Und ich hätte auch gern weitergelebt!“, würde wohl nicht ohne Wirkung bleiben.
Das Huhn als Wesen mit einem freien Willen, das sich Gedanken über eine Zukunft macht?
Dieses „Und ich hätte auch gern weitergelebt“ ist sowieso nicht ganz logisch. Denn diese Tiere verdanken ja im Grunde ihre Existenz dem Tod. Die würden ja gar nicht leben, wenn man die nicht fürs Schlachten gezüchtet hätte.
Jetzt werden Sie aber zynisch Frau Duve!
Gut, den Satz „Und ich hätte auch gern weitergelebt“ braucht es gar nicht. Denn diese Tiere haben ja fürchterlich gelitten. Einigen wir uns auf: „Ich heiße Elfriede, und mein Leben war grauenhaft!“
In „Anständig essen“ geht es ja nicht allein um Tiere. Auch mit außergewöhnlichen Zeitgenossen macht der Leser in Ihrem Buch Bekanntschaft. Bis vor kurzem glaubte ich noch Veganer, die nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf tierische Produkte verzichten, seien die Konsequentesten in dieser Hierarchie. Aber Sie haben mich eines Besseren belehrt. Denn es gibt ja noch die Frutarier, die nur das verspeisen, was Baum und Strauch freiwillig hergeben.
Ja, davon gibt es aber nicht sehr viele.
Ist das nicht vielleicht doch schon eine ganz leichte Form von Geisteskrankheit?
Ich würde eher sagen, es ist sehr anspruchsvoll. Mich hat das in meiner Zeit des Selbstversuches auch überfordert. Bei den Frutariern spielen neben dem ethischen Ansatz oft auch noch ganz andere Dinge eine Rolle, im Grunde sind da spirituell-religiöse Ansätze zu finden. Aber für mich ist das schon in einem gewissen Sinne nachvollziehbar, denn es fällt mir zum Beispiel schwer, verkümmerte Topfpflanzen einfach wegzuschmeißen. Da frage ich mich schon, ob ich diese Lebewesen einfach in die Mülltonne stopfen kann.
Der berüchtigte Gewissenskonflikt. Wobei der ja bei den Frutariern fast schon schizophrene Züge annehmen muss. Der Apfel ist endlich vom Baum freiwillig abgegeben worden und zu Boden gefallen. Wenn der Frutarier sich nun aber auf den Weg dorthin macht, läuft er doch Gefahr, das arme Gras totzutreten?
Nein, nein, das ist jetzt die Veralberung aus dem Film „Notting Hill“. Frutarier sind anders. Und es gibt Abstufungen. Es ist völlig okay, Äpfel zu pflücken. Besser ist es jedoch, Äpfel erst zu pflücken, wenn sie reif sind. Und am besten ist es, die Äpfel zu essen, die von selbst vom Baum gefallen sind. Aber wie gesagt, mit dieser Lebensweise konnte ich mich auch nicht anfreunden. Ich schaffe es ja noch nicht einmal, vegan zu leben. Insofern ist es jetzt müßig, mir darüber Gedanken zu machen, was ich gegenüber der Pflanzenwelt noch alles an Schuld auf mich geladen habe.
Für welche Lebensweise hinsichtlich „Anständig essen“ haben Sie sich nun nach Ihrem einjährigen Selbstversuch entschlossen?
Ich habe mir vorgenommen, meinen Konsum von Fleisch und Milchprodukten auf zehn Prozent runterzufahren. Die Vorstellung, nie wieder Fleisch zu essen, hätte mich in Angst und Schrecken versetzt. Mittlerweile lebe ich aber praktisch vegetarisch und habe auch Einiges von den Veganern übernommen.
Als da wäre?
Beispielsweise mir keine Sachen mehr aus Leder zu kaufen.
Auch keine Schuhe?
Nein, ich habe sogar meinen alten Schuhschrank ausgeräumt. Und das fiel mir viel leichter als ich dachte.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Karen Duve liest am Mittwoch, 16. Februar, 20 Uhr im Waschhaus in der Schiffbauergasse. Eintritt im Vorverkauf 5, an der Abendkasse 7 Euro. „Anständig essen. Ein Selbstversuch“ ist im Berliner Galiani Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro
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