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Sie bleiben Fremde in einem fremden Land. Bundeswehrsoldaten bei einer Patrouille nahe Kunduz.

©  dpa

Von Dirk Becker: Wir sind im Krieg

Ein ernüchternder Diskussionsabend zum Thema Afghanistan in der Galerie Kunstraum

Stand:

Im Grunde ist man dankbar für solche Aussagen aus berufenem Munde. „Sie glauben immer an den bösen Willen, ich an die Blödheit“, sagte Stefan Aust, von 1994 bis 2008 Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, am Montagabend zu Jakob Augstein, Verleger und Redakteur der Wochenzeitung „der freitag“. Augstein in seiner Funktion als Moderator der Diskussionsrunde „Sterben für Afghanistan“ im Rahmen der aktuellen Ausstellung „Kunduz, 04. September 2009“ in der Galerie Kunstraum hatte von Anfang an klar gemacht, dass er in dieser Runde auch deutlich seine Meinung vertreten werde. Eine ganz klare und vehemente Ablehnung des Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan, die in der Forderung gipfelt, die Truppen sofort und ohne jegliche Rücksicht auf die Verhältnisse vor Ort abzuziehen.

Augstein verteidigte hartnäckig, ja fast schon stur, seinen Standpunkt gegen die Argumente von Aust, dem Filmemacher Detlev Konnerth und dem Journalisten Christoph Reuter, der zusammen mit dem Fotografen Marcel Mettelsiefen die Ausstellung „Kunduz, 04. September 2009“ erst ermöglicht hatte. Und wiederholt fragte Augstein, was die Grundlage für die Entscheidung der deutschen Politiker wohl gewesen sei, deutsche Soldaten ausgerechnet nach Afghanistan zu schicken, dem Land am Hindukusch, in dem bisher noch jeder Besatzer gescheitert ist? Eine bewusste Entscheidung entgegen aller Erfahrungen oder nur Naivität? Aust gab die entsprechende Antwort, der auch Reuter und Konnerth zustimmten. Es sei die „Blödheit“ der Politiker gewesen.

Wie gesagt, man ist dankbar für solche Direktheit, in manchen Ohren vielleicht auch Anmaßung. Da ist keine Überraschung und auch keine Empörung darüber, wie einer der einflussreichsten Journalisten in Deutschland über die Politiker dieses Landes spricht. Da ist eher Zustimmung und Wut und auch Resignation gegenüber einer selbstgefälligen Kaste, die vor allem durch Inkompetenz, Ignoranz und Überheblichkeit auffällt. Und eben durch „Blödheit“, wie Aust so klar und so treffend formulierte.

Nun braucht es nicht zwingend den Besuch der Ausstellung im Kunstraum, die sich den 91 Opfern des verheerenden, vom deutschen Oberst Georg Klein befohlenen Bombardements auf zwei von Taliban entführten Tanklastzügen nahe Kundus in den Morgenstunden des 4. September vergangenen Jahres widmet, um sich über die Fragwürdigkeit politischen Handelns bewusst zu werden. Und dafür braucht es auch nicht unbedingt den Film „Sterben für Afghanistan“ und die anschließende Diskussion am Montagabend. Aber beides macht so unnachgiebig deutlich, wie katastrophal die Situation für die deutschen Soldaten dort in Afghanistan ist und wie „skrupellos“ das Verhalten der Politiker.

„Skrupellos“ nennt Harald Kujat, Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr, das Verhalten der deutschen Politiker in dem Dokumentarfilm „Sterben für Afghanistan“, den Aust und Konnerth Anfang dieses Jahres für das ZDF gedreht haben. Denn noch immer wollen die Politiker nicht von einem Krieg in Afghanistan sprechen, in dem die deutschen Soldaten verwickelt sind. Diplomatisch unverfänglicher klingt doch da „Friedensmission“. Und entsprechend fällt dann auch die Ausrüstung der Soldaten aus, fehlen die entsprechend gepanzerten Fahrzeuge oder schweren Waffen, um sich den Angriffen der Taliban zu widersetzen.

Wäre es nicht so makaber, man könnte von einem erheblichen Komikpotenzial sprechen, wie sich deutsche Politiker in den vergangenen Jahren um die klare Benennung der Tatsachen in Afghanistan gewunden haben, sagte Reuter. Hier verliere man sich im politischen Kleinklein und in und um Kundus, wo die Bundeswehr stationiert ist, verlieren Soldaten ihr Leben. Auch Aust betonte, wer seine Soldaten in einen Krieg schickt, müsse sie auch entsprechend ausbilden, ausrüsten und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. All das hat die Politik in den vergangenen Jahren ignoriert oder verdrängt oder einfach nicht wahrhaben wollen. Und so stelle sich nicht einfach die Frage, was Oberst Georg Klein in der Nacht zum 4. September falsch gemacht habe, dass er den fatalen Befehl für das Bombardement auf die beiden Tanklastzüge gab. Sondern was alles dazu geführt hat, dass dieser Offizier scheinbar keine andere Möglichkeit sah, als zwei Bomben vom Typ GBU-38, 227 Kilogramm, abwerfen zu lassen und damit wohl zum großen Teil nur Bauern aus den umliegenden Dörfern tötete, die sich Diesel aus den Tanklastzügen abzapfen wollten.

Doch was weiß man schon? Diese Frage schien an diesem Abend über allem zu schweben. Was die Medien übermitteln, ist oft genug nur ein verfälschtes Bild. Und die Fotografien der Toten und Hinterbliebenen in der Ausstellung „Kunduz, 04. September 2009“? Zeigen sie wirklich nur Bauern, wie Filmemacher Detlev Konnerth fragte. Afghanistan ist kein Land, wie wir es in unseren westeuropäischen Kategorien gern haben wollen. Unterschiedliche Ethnien mit unterschiedlichen Interessen und einer Regierung, wie Reuter immer wieder betonte, die vor allem durch Korruption glänzt und so die Bevölkerung verstärkt den Taliban in den Armen treibt. Ein Land, das die Bundeswehr nicht verstehen kann und wird, da sie vor allem damit beschäftigt ist, sich selbst zu schützen. Demokratie lasse sich dort nicht erzwingen. Und wolle man nicht länger hilflos dem wachsenden Chaos zuschauen, müssen Gespräche stattfinden, so Aust. Auch mit den Taliban.

Die „Dummheit“ deutscher Politiker hat die Bundeswehr in diesen Hexenkessel gebracht. Es wird sich zeigen, wie einsichtig und lernfähig sie sich in Zukunft geben werden. Aber Illusionen wird sich hier wohl keiner mehr machen.

„Kunduz, 04. September 2009“ ist noch bis zum 13. Juni in der Galerie Kunstraum, Schiffbauergasse, mittwochs bis sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Am kommenden Dienstag, 25. Mai, spricht Michael Daxner um 19 Uhr über „Die Erfindung von Kunduz“. Im Berliner Rogner & Bernhard Verlag ist ein Katalog zur Ausstellung erschienen. Er kostet 19,90 Euro

Dirk Becker

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