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Kultur: „Wir wollen, dass das Theater existiert“ Insolvenzunkenrufe, wirre Personalpolitik, aber kein Theater – so sah es bislang aus am Theater in Brandenburg/Havel. Die künstlerische Leiterin Katja Lebelt und der neue Geschäftsführ

Frau Lebelt, Herr Deschner, es liegen äußerst verwirrende Wochen hinter dem Brandenburger Theater. Sie, Herr Deschner, wurden vor Kurzem überraschend neuer Vorsitzender der Geschäftsführung.

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Frau Lebelt, Herr Deschner, es liegen äußerst verwirrende Wochen hinter dem Brandenburger Theater. Sie, Herr Deschner, wurden vor Kurzem überraschend neuer Vorsitzender der Geschäftsführung. Sind Sie als Retter aus der Not eingeflogen worden?

DESCHNER: Nein, nein, das ist Quatsch. Man hat mich gefragt, ob ich hier die Geschäfte führen will, und ich habe gesagt: maximal zwei Jahre. Wenn mir bis dahin das gelungen ist, was ich in anderen Brandenburger Firmen als Geschäftsführer geschafft habe, dann ist es gut. Wobei ich mich in künstlerische Belange nicht einmischen werde. Frau Lebelt ist für die Kunst zuständig, so haben wir das verabredet. Für die künstlerischen Belange muss sie dann auch den Kopf hinhalten, und sie muss im Rahmen bestimmter Verabredungen selbst wirtschaften.

Ihr Vorgänger Jörg Heyne brachte seine Devise als Geschäftsführer so auf den Punkt: Die Freiheit der Kunst hört mit dem Ende des Geldes auf. Unterschreiben Sie das?

DESCHNER: Meine Haltung ist: Ich bin fair, aber ich lasse mich nicht verarschen. Die Geschäftsleitung ist dazu da, damit man am Theater Kunst machen kann. Das heißt auch, sie muss dafür sorgen, dass das Theater nicht all seine Gelder in Gehälter steckt, sodass am Ende keine Kunst mehr möglich ist. Im Notfall hieße das hier in Brandenburg: Falls man sich nicht auf einen neuen Hausvertrag einigen kann, muss eben aus einem C-Orchester ein D-Orchester werden. So einfach ist das. Denn es ist ja so: Wir haben sieben Millionen Euro zur Verfügung. Dreieinhalb Millionen von der Stadt, ebenso viel vom Land. Allein für die Gehälter gehen 5,7 Millionen ab. Von dem Rest müssen Heizkosten, Reparaturen und so weiter bezahlt werden. Was übrig bleibt, reicht einfach nicht. Wenn die Orchestermusiker sagen, dass ihnen das egal ist, dann müssen wir die Lohneinstufung ändern. Das wäre sehr brutal, so weit soll es nicht kommen. Deswegen wollen wir einen neuen Haustarifvertrag. Denn letztlich wird alles der Kunst weggenommen. Ich selbst bekomme 25 000 Euro im Jahr weniger als in meiner letzten Stelle.

Frau Lebelt, Sie sind seit Januar 2016 künstlerische Leiterin am Haus. Hört die Freiheit der Kunst mit dem Ende des Geldes auf?

LEBELT: Ich war 20 Jahre freiberuflich als Bühnenbildnerin tätig und habe immer einen Etat bekommen, mit dem ich dann zu arbeiten hatte. Das ist ganz normal. Ich habe die LehnschulzenHofbühne in Viesen gegründet und sieben Jahre künstlerisch und organisatorisch verantwortet. Auch da war es wichtig, sich in einem bestimmten Etat zu bewegen. Aber: Man kann aus wenig viel machen – oder eben nichts. In Viesen gab es eine Scheune ohne einen einzigen Scheinwerfer und wir haben ganz hervorragende Sachen gezeigt. Man sollte ganz genau schauen, welche Kapazitäten man hat und diese dann optimal ausnutzen. Das wollen wir in Brandenburg tun. Im Übrigen habe ich gelernt: Gutes Theater wird nicht da gemacht, wo das meiste Geld ist. Sondern da, wo die Leute mit dem, was sie haben, am klügsten umgehen.

Was hat Sie bewogen, das Wagnis am Brandenburger Theater überhaupt auf sich zu nehmen?

LEBELT: Das Brandenburger Theater wurde 1999 ja radikal abgewickelt. Jetzt hat es nur noch einen künstlerischen Rumpf, das Orchester. Aber im Vergleich mit einer Scheune ist das doch sehr viel! Ich denke, dass man die Teile des freien Arbeitens und die vorhandenen Strukturen zusammenführen muss. Für mich ist das durchaus eine zukunftsweisende Form städtischen Theaters: projekthaftes Arbeiten mit einem festen Stamm an Mitarbeitern und Gästen. Die Alternative wäre ein festes Mini-Ensemble, mit dem man dann die Arbeit eines städtischen Theaters leisten muss. Das geht aber nicht. In Brandenburg haben wir den Zwitter: gute Bühnen, das Orchester, die Technik, eine Grundfinanzierung. Und wir können den Topf voller machen, indem wir kooperieren, Drittmittel akquirieren, frei gestalten. Das ist sehr reizvoll.

Herr Deschner, zwei Jahre lang gab es seit der Kündigung von Christian Kneisel gar keine künstlerische Leitung am Haus. Die kommende Spielzeit ist die erste, die Frau Lebelt selbst gestalten konnte. Nun hieß es aber kürzlich: Es wird eine Spielzeit im Blindflug. Was heißt das?

DESCHNER: Es gibt seit einem halben Jahr kein Controlling mehr am Theater. Das heißt, wir haben derzeit keinen Überblick über die Einnahmen und Ausgaben im ersten Halbjahr. Davon hängt aber ab, wie wir im zweiten Halbjahr arbeiten können. Die Orchesterdirektorin hat uns vor Kurzem auch verlassen. Die Leute, die den Überblick hatten, sind alle weg. Wir sind jetzt dabei, die Aufräumarbeiten zu machen, den Status quo zu erfassen. Ich weiß im Moment nicht, ob wir 200 000 Euro über dem Budget liegen, oder 100 000 darunter. Das ist der Blindflug. Bis September soll die Aufräumarbeit abgeschlossen sein, dann haben wir Planungssicherheit bis Jahresende.

Wie aber plant man eine Spielzeit, wenn man null Gewissheit über den Etat hat?

LEBELT: Eigentlich geht das nicht. Dieses Theater ist systematisch an die Wand gefahren worden, ohne Plan und Verstand. Wir wollen Plan und Verstand hier wieder hineinbringen. Herr Deschner und ich wollen, dass dieses Theater weiter existiert, daher haben wir unser Spielzeitprogramm vorgestellt. Aber Blindflug heißt: Was im Programm steht, ist das Ziel. Wir können nicht garantieren, dass es so auch stattfinden wird.

Wie stark ist der Rückhalt vonseiten der Stadt?

DESCHNER: Die Oberbürgermeisterin unterstützt uns. Aber es gibt in der Stadtverwaltung Menschen, die nur darauf warten, dass man das Theater endlich abwickeln kann. Insofern ist es wichtig, dass Frau Lebelt ihre Projekte durchsetzt, um besagten Kräften keine Gelegenheit zu geben.

LEBELT: Eins ist klar: Wir sind als Theater nicht in einer Situation, in der wir sagen könnten: Wir sind so beliebt, wir brauchen unbedingt mehr Geld. Wir müssen erst einmal etwas liefern. Es gibt ja zum ersten Mal seit 1999 überhaupt ein Konzept, demzufolge das Theater mehr als eine Stadthalle sein will. Erst wenn Zuschauer und Stadt das wahrgenommen haben, können wir Zuspruch erwarten. Und die Stadt hat sich sehr verändert. Im letzten Jahr hat der Zuzug erstmals wieder zugenommen. Die schöne, sanierte Hülle ist da. Jetzt geht es darum, die Hülle mit Leben zu füllen.

„Alles bleibt, alles anders“ heißt das neue Spielzeitheft. Was sind Ihre konkreten Pläne?

LEBELT: Es gibt jetzt eine Bürgerbühne, es gibt sieben eigene Produktionen, das Orchester soll wieder in allen Formaten richtig etwas zu tun bekommen. Brandenburg soll, wie es im Theaterverbund mal geplant war, längerfristig wieder ein Musiktheaterstandort für ganz Brandenburg sein. Durch das Orchester haben wir den größten Teil für eine Musiktheaterproduktion schon im Haus und dieses Potenzial wollen wir nutzen. Im Bereich Musical entwickeln wir zwei Stücke selbst. Es wird ein Figurentheaterfestival geben. Wir wollen Regisseure und Schauspieler als „feste Freie“ ans Haus binden, damit sich eine Kontinuität ergibt – unter anderem Anna Böttcher, die man in Potsdam aus „Frau Müller muss weg“ kennt.

Frau Lebelt, Sie haben einen Fünf-Jahres-Vertrag. Wie sieht das Brandenburger Theater 2021 idealerweise aus?

LEBELT: Idealerweise haben wir dann eine funktionierende Struktur mit Kooperationen, projektorientiertem Arbeiten, mit dem Musiktheater als Mittelpunkt. Ein Theater, das in die Stadt geht, mit Jugendlichen und im Education-Bereich arbeitet, aber sich auch international öffnet. Ein offener Kulturort, wo die Leute gerne hingehen. Ein innovativer Ort, wo auch Künstler gerne hinkommen, obwohl wir sicher nie große Gagen bezahlen können. Klein, schlank und hochprofessionell: Das ist unser Ziel.

Sie lachen, Herr Deschner. Machen Ihnen Frau Lebelts Träume Angst?

DESCHNER: Ach was. Das klingt alles sehr gut, nur wird man sich manchmal bescheiden müssen. Und der rote Faden muss da sein.

Das Gespräch führte Lena Schneider

Klaus Deschner, 73 Jahre alt, studierte BWL und Volkswirtschaft an der Universität Mannheim. Seit Mitte Juli 2016 ist er Vorsitzender Geschäftsführer am Brandenburger Theater.

Katja Lebelt, 47 Jahre alt, studierte in Pforzheim und Hamburg Modedesign, Kostüm- und Bühnenbild. Seit 1. Januar 2016 ist sie künstlerische Leiterin am Brandenburger Theater.

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