Kultur: „Wir zahlen uns dumm und dämlich“
Das Ensemble Collegium Musicum erwartet mehr Unterstützung von der Stadt. Bisher gibt es nur geringe Projektförderung
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Es war ein sehr emotionaler Termin: Das komplette Sinfonieorchester, etwa 75 Personen, spielte im Babelsberger Betlehemssaal vor 50 Gästen aus Pflege- und Seniorenheimen und dem Betreuten Wohnen. „Viele von ihnen erlebten nach Jahren zum ersten Mal wieder ein lautes, komplettes Orchester, Musik, die man eben auch auf der Haut spürt“, sagt Knuth Andreas. Ein Herr im Rollstuhl, ein ehemaliger Musikprofessor, habe Tränen in den Augen gehabt. „Das ging uns allen sehr nahe“, sagt Andreas, Leiter des großen Laienorchesters, nach dem Testkonzert für ein neues Projekt des Collegium Musicum Potsdam (CPM). Und deshalb soll das Projekt weitergehen, zweimal im Jahr sind Konzerte unter dem Motto „Sinfonieorchester für Senioren“ geplant – in Kooperation mit dem Netzwerk „Älter werden in Potsdam“. Es freue ihn sehr, dass die Stadt vor wenigen Tagen dafür Projektfördermittel zugesagt hat, sagt Knut Andreas im PNN-Gespräch.
Der Orchesterleiter hat dennoch Sorgen. „Wir wollen 2015 in die institutionelle Förderung durch die Stadt“, sagt er und wiederholt damit die Forderung, die er kürzlich dem Kulturausschuss vorgetragen hat. Das Orchester sei, was die ehrenamtliche Tätigkeit und die Finanzierung der Projekte aus eigener Kraft betrifft, am Limit angekommen. „Wir haben viele Ideen, aber wir können sie nicht mehr umsetzen“, sagte Andreas damals.
Das älteste Laienenorchester der Stadt, das im kommenden Jahr sein 70-jähriges Bestehen feiert, ist eine feste Größe im musikalischen Kalender Potsdams. 18 Konzerte waren es im vergangenen Jahr, neun Programme studierten sie dafür ein. Als Andreas das Ensemble 1998 übernahm, waren es nicht einmal 20 Mitglieder und drei Konzerte im Jahr. Die Besucherzahl stieg rasant an, von 200 im Jahr 1998 auf mehr als 5000. Vor allem die „Klassik am Weberplatz“, die seit 2009 stattfindet, wurde zu einem Publikumsliebling. Mehr als 1000 Besucher kamen im vergangenen Jahr zur „Saxnight“ in die Friedrichskirche am Weberplatz, als das Konzert erstmals wegen des Regens nicht open air stattfinden konnte.
Auch in diesem Sommer ist Klassik am Weberplatz geplant, das CMP hat dafür Unterstützung aus dem Projektfördermitteltopf der Stadt beantragt. Bisher gibt es noch keine Zusage. „Irgendwann im Frühling kommt ein Brief, und dann gibt es Geld – oder auch nicht“, sagt Andreas. Diese Unsicherheit sei für die Planung eines solch großen Events nicht förderlich. „Wir kriegen das nur hin, weil manche Technikfirmen sich den Termin großzügigerweise freihalten“, sagt Andreas.
Die Fördersumme decke jedoch höchstens die Hälfte aller Kosten, 2013 waren das 20 000 Euro. Den Rest, so Andreas, müsse man über Spenden aufbringen. Das gelinge so gut wie nie, deshalb werden auch die Mitgliedsbeiträge der Musiker gebraucht. Die bisher moderaten Kartenpreise sollen nicht erhöht werden, um die Hemmschwelle, zu klassischen Konzerten zu gehen, nicht zu steigern. Im Schnitt müsse man mit 3000 Euro für ein Wochenende mit zwei sinfonischen Aufführungen rechnen – für Noten, Werbung und Aufführungsrechte. Die seien oft der größte Posten und werden für Werke von Komponisten ab dem späten 19. Jahrundert fällig. „Für ein Konzert mit Gershwin und Schostakowitsch zahlen wir uns dumm und dämlich“, sagt Andreas.
Dabei ist es gerade das abwechslungsreiche Programm, das Besucher und Mitglieder begeistert. „Nicht nur Bachkantaten und Mozart“, sagt Barbara Scholz erfeut, erste Geige und seit über 40 Jahren dabei. Dieses Konzept spricht ältere und junge Musiker an, durch aktive Nachwuchsarbeit kommen immer wieder neue dazu. Zehn Schulklassen besuchten im vergangenen Jahr die Orchesterproben, kleine Ensembles spielten in Potsdamer Kitas.
Alles das zu organisieren ist zeitaufwendig. Vieles erldeigt Andreas selbst, von zu Hause, doch diese Zeit fehle ihm für seine Aufgaben als künstlerischer Leiter, sagt Barbara Scholz. Sie brauchen Mittel für einen festen Orchestermanager und ein Büro. Mittlerweile ist das Orchester auch überragional aktiv. Aus Brasilien kommen regelmäßig Gastdirigenten und Knut Andreas ist dort zu Gast, musiziert, hält Vorträge und Kurse für künftige Musiklehrer. „Europäische Musik hat dort einen großen Stellenwert“, sagt er. Zwei CDs mit Liedern der bekannten basilianischen Sängerin Eliana Printes hat das Orchester eingespielt, einmal komplett mit Orchester. Für „Tudo em movimento“, seit wenigen Wochen in Brasilien im Musikhandel, wurde die Violinenbegleitung nach Brasilien gemailt. Diese brandenburgisch-brasilianische Zusammenarbeit soll fortgeführt werden, sagt Andreas. Der umtriebige Dirigent nahm 2012, stellvertretend für das Orchester, den Ehrenamtspreis der Stadt entgegen. Im Kulturausschuss konnte man seinen Wunsch nach kontinuierlicher Unterstützung verstehen. „Hier steht ein Kandidat für die institutionelle Förderung“, sagte Ausschussvorsitzende Karin Schröter (Die Linke), und ergänzte: „Aber der Kämmerer hat das letzte Wort.“
Einen kleinen Trost gibt es. Beim Geburtstagsempfang des Oberbürgermeisters spendeten die Gäste „einen ordentlichen vierstelligen Betrag“, heißt es aus dem Rathaus, der dem Ensemble zugute kommen soll. Das Orchester spart schon lange für einen neuen Konzertflügel. Etwa 15 000 Euro kostet so ein Instrument.
Nächste Konzerte am 23. März in Berlin, am 12. April in Falkensee. Das Konzert für Senioren findet am 22. Juni statt, Klassik am Weberplatz am 28. Juni – diesmal mit Musik aus Star Wars, Star Trek und E. T. sowie „Planeten“ von Gustav Holst.
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