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Kultur: Wittigs Liederstunde im Alten Rathaus

„Sie wiegte mich in den Schlaf, indem sie mir spanische Tänze vorsang“, sagte Maurice Ravel von seiner Mutter. Auch die Komponisten Edvard Grieg und Anton Dvorák schufen musikalischen Denkmale ihrer Mütter.

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„Sie wiegte mich in den Schlaf, indem sie mir spanische Tänze vorsang“, sagte Maurice Ravel von seiner Mutter. Auch die Komponisten Edvard Grieg und Anton Dvorák schufen musikalischen Denkmale ihrer Mütter. Beim Liederabend von Thomas Wittig im Alten Rathaus stand wohl eher zufällig ein Thema im Zentrum, das zur Zeit die Debatten bewegt.

Über die Mutter wurde viel gesungen, in allen Kulturen der Welt, und weit mehr als über die Väter. Dass Spanien zur zweiten künstlerischen Heimat von Maurice Ravel wurde, gebührt dem Einfluss seiner Mutter, einer gebürtigen Baskin. Auch Ravels drei „Chansons von Don Quichotte an Dulcinea“ schöpfen aus der reichen spanischen Kultur, die Ravel so originell mit impressionistischen Klangfarben ausgemalte. Ursprünglich für Bariton und Orchester komponiert, verfehlen sie auch mit Klavierbegleitung ihre Wirkung nicht. Besonders dann, wenn mit Anita Keller von der Hanns-Eisler-Hochschule eine grandios versierte und virtuose Begleiterin anwesend ist. Mit ihrem farbigen, unprätentiösen Spiel fand sie stets den passenden Ton.

Thomas Wittig, der mit diesen Zyklus 1988 den ersten Preis beim Liederwettbewerb in Paris gewonnen hat, gibt mit damit einen kolossalen Einstand – diese großartigen Lieder scheinen wie für ihn komponiert zu sein. Mit mächtig ausladender Stimme malt er die Welt von Don Quijote zwischen verrückter Illusion, naiver Gläubigkeit und ungebremster Lebenslust.

Dass der norwegische Komponist Edvard Grieg ein reichhaltiges Liedgut hinterlassen hat, ist nur wenigen bekannt. Die dreizehn von Thomas Wittig ausgewählten Lieder zeichnen sich durch gewisse Sprödigkeit aus, Schlichtheit der Melodie, die manchmal beinahe zu Sprechgesang wird, und mit pointillistisch-knapper, prägnanter Klavierbegleitung. Doch mit der Kargheit der musikalischen Mittel entstehen auch magische Momente, wie etwa in der Beschreibung einer Mittsommernacht „Lichte Nacht“ oder in der Romanze „Im Kahn“. Thomas Wittig arbeitet die melodischen Linien fein heraus, phrasiert mit Bedacht, artikuliert sehr textverständlich, gelangt rein bis in hohe Register und betört mit baritonaler Wärme. Sehr ansprechend gelingt das Lied „Til Norge“ – eine tief empfundene Erinnerung an die Mutter, schlicht und innig wie nur selten zu hören.

Bei aller Feinheit seiner Interpretation gelingen Thomas Wittig die großen, dramatischen Lieder am besten, wie etwa der „Herbststurm“ von Grieg, eine grandios- vehemente Naturschilderung. Prächtig entfalten sich Wittigs Qualitäten auch in Anton Dvoráks „Zigeuner-Melodien“ op. 55. Hier waltet die große Geste, brodelt das Gefühl, wogt das Leben, die Freiheit, die Liebe, stürmt die Musik bei Tanz und Gesang.

Das sind willkommene Leckerbissen für den Sänger, hier kann er das volle Volumen seiner gut geführten Stimme hervorragend einsetzen. Auch Dvorák huldigt der Mutter voller Gefühl und Sehnsucht - mit der Arie „Als die alte Mutter“, der Thomas Wittig klangvolle, warm tönende Präsenz gibt. Beim Hören solcher Lieder kann einem schon der Gedanke kommen, dass die Qualitäten einer Mutter nicht so leicht zu ersetzen sind.

Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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