zum Hauptinhalt

Kultur: Witzige Waffe der Wehrlosen

Gisela Oechelhaeuser in der Galerie am Neuen Palais

Stand:

Gisela Oechelhaeuser in der Galerie am Neuen Palais Niveau. Im Grunde ging es den ganzen Abend um das viel beschworene Niveau. Unzweifelhaft als Leitstern dorthin sah sich Gisela Oechelhaeuser. Zum Udo Jürgens-Song „Immer immer wieder geht die Sonne auf“ begann ihr Auftritt in der Galerie am Neuen Palais. Der Ausstellungsraum war gut gefüllt. Galerist Jürgen Oswald gab sich zufrieden mit dem Abend, der sich in die Reihe der regelmäßig unregelmäßigen Veranstaltungen an diesem Ort fügte. Nur scheinbar versuchte die Berliner Kabarettistin das Publikum mit einem ersten Witz über Gruppensex zu erobern. Denn wer bei der platten Pointe sein Zwerchfell schüttelte, bekam von der Bühne sofort den Tadel: „Sie haben bereits unter ihrem Niveau gelacht“. Im ironischen Oberlehrerton spielte Oechelhaeuser dann gekonnt immer wieder auf der Klaviatur provokanter Publikumsbeschimpfung. Nach Jahren bei namhaften Kabarettbühnen wie der Dresdner Herkuleskeule und der Berliner Distel hatte man das und anderes auch erwartet. Das Auditorium für sich zu gewinnen, forderte der Berlinerin aber bis zur Pause einiges ab. Da halfen nur wenig von Lokallob triefende Aufmunterungen wie „ich wusste, in Potsdam geht alles viel schneller“. Nicht vor, nach diesem Spruch wären die Lacher gut platziert gewesen. Denn nicht nur professionell, sondern auch bemüht um Kontakt zum Publikum, arbeitete sich die Kabarettistin durch ihr locker gestricktes Nummernprogramm, entfaltete sie ihren witzelnd-satirischen Eine-Frau-Kosmos um den Ohrensessel und eine ominöse „Strunz-Diät“. Auf die Minute genau seien Möhrchen und Wasser einzunehmen. Leider wurde die Satire auf den Fitnesswahn nur im Publikum ausgebaut. Eine offenbar Diät-Erfahrene raunte, Möhren machten doch erst recht dick. Nicht ungeschickt und mit Erfolg hatte die Kabarettistin an den Gefühlen der Besucher gekitzelt. Nun ging es ums Vertrauen. Die US-Amerikaner forderten für ihre derzeitige Politik vom Rest der Welt doch nur eines: Urvertrauen. Unverständlich? Gerne erläuterte Oechelhaeuser mit Alltagsbezug. Mama vertraue Papa, dass er abends wiederkomme. Papa vertraue Mama, das abends Essen auf dem Tisch stehe. Und wenn Papa die Nachbarin auf dem Schoß halte und Hoppe-Reiter spiele, brauche Mama schon ziemlich viel Urvertrauen. Und wer mit wem in der Politik sein Urvertrauen, das „Kondom für die Psyche“, benutze, daran ließ die Kabarettistin auch keinen Zweifel. Hat Joschka Fischer sich nicht auf Colin Powells Schoß gesetzt? Wie ist Gerhard Schröders wieder erstarkter Flirt mit George W. Bush Jr. zu verstehen? Aber wirklich nahe war Oechelhaeuser ihrem Publikum erst in der stark belachten und heftig beklatschten Zugabe. Aus einem älterem Programm stammte das berlinernde Käthchen, das alkoholisiert über die Bühne stolperte. Eine tragische Karriere von ostdeutscher Vollbeschäftigung zu gesamtdeutscher Arbeitslosigkeit hatte die verdiente Einwicklerin saurer Drops hinter sich. Jetzt sei sie abgewickelt. War es die Vertrautheit der Sprache? War es die Nähe zur eigenen Lebenswelt? Im Publikum lachte man befreiend, wohl auch etwas bitter und wissend. Unterschrieben hätte aber wohl jeder Oechelhaeusers Credo am Ende des Abends: „Der Witz ist die letzte Waffe der Wehrlosen.“ Götz J. Pfeiffer

Götz J. Pfeiffer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })