Von Lena Schneider: Wo bist du, Stadt?
Spielzeitauftakt: „Der Revisor“ am HOT ist gut gemacht und kommt trotzdem nicht da an, wo er hinwill
Stand:
Wenn das nicht ein hübscher, oder eben hübsch kalkulierter Zufall ist: Potsdam wählt seinen neuen Bürgermeister und das Hans Otto Theater spielt „Der Revisor“. Jenes Stück von Nikolaj Gogol also, in dem einem Bürgermeister und seinem Dienstapparat vor dem befürchteten Besuch eines hohen Beamten die Knie schlottern – aus Angst, ihre korrupten Machenschaften könnten entdeckt werden. Aus lauter vorbeugendem Gehorsam macht bei Gogol die gesamte Stadt vor dem Falschen, einem stadtfremden Taugenichts, den Buckel krumm. Der fälschlich so Geehrte freut sich und schleicht am Ende mit den Bestechungsgeldern davon, gerade rechtzeitig, bevor der echte Revisor eintrifft und die Stadt die Hochstapelei erkennt.
Dass all das sich vage auch auf die hiesige Politik – und nicht nur die – beziehen lassen könnte, hat die Marketingabteilung des Theaters offenbar erkannt. Die überall in der Stadt aufgehängten Plakate zur Premiere waren als Wahlposter aufgemacht – nach dem Motto: Ihr Kreuz für den Revisor. Tatsächlich haben die letzten Monate und Wochen in Potsdam genügend politisches Spielmaterial produziert, um einen „Revisor“ wieder interessant zu machen: Der Rücktritt Speers und die Stasi-Mitarbeit Scharfenbergs etwa werfen Fragen zu Korrumpierbarkeit, politischer Verantwortung und Integrität auf, die ein gefundenes Fressen wären für ein Theater, das solcherlei thematisiert. Nun gut, Regisseur Peter Kube will offenbar nicht polemisieren. Aber anders als von den Plakaten behauptet, scheint ihn auch eine Verbindung in die Stadt da draußen kaum zu interessieren. Zwar kredenzt er anders als bei der aufgeplusterten „Kameliendame“ mit seinem „Revisor“ einen recht appetitlichen Happen Komödie, hübsch anzusehen, gut verdaulich – und dennoch ist vielleicht gerade das das Problem.
Aber bleiben wir noch beim Erfreulichen: „Der Revisor“ ist bestens getimt, jeder Auftritt punktgenau, jede Pointe sitzt, brachiale Komödie durch und durch. Bereits der mit musikalischem Schmiss eingespielte Titel zu Anfang ist Bekenntnis zum atemlosen Tempo des Abends, und dieses Versprechen hält er. Was ein zweiter Unterschied zur „Kameliendame“ ist: Das Ensemble kommt darstellerisch voll auf seine Kosten. Michael Schrodt als falscher Revisor ist ein windiger Bursche, gelenkig, geradezu akrobatisch windet er sich sprachlich und körperlich, schlüpft von der Rolle des mittellosen Lebemanns in die der herrischen Autorität – und zwischendrin glaubt man ihm sogar die naive Freude darüber, wie freundlich ihn die Stadt aufnimmt – sie will ihn schließlich bestechen.
Jon-Kaare Koppe als Bürgermeister, aufgemacht wie ein jüngerer Berlusconi, erntet dankbare Lacher, wenn er doch mal auf bekannte Wahlkampfmodi verweist – „Je mehr Baustellen, desto größer der Beweis für meine Aktivität“ – und umschwänzelt den Fremden in formvollendet geheuchelter Untergebenheit. Peter Pagel als brummiger Richter Tjapkin ist wunderbar greisenhaft durchtrieben, René Schwittay und Florian Schmidtke als fettwanstig ausgestopfte Gutsbesitzer drollig anzusehen. Am schönsten schlottert Philipp Mauritz als Schulinspektor vor Angst: Noch bevor er auf den falschen Revisor trifft, fällt er vorsorglich in Ohnmacht, wird von hysterischem Jucken und Augenblinkern befallen und gibt zwischendrin immer wieder damenhaft spitze Verzweiflungsrufe zum Besten.
Solcherart mit liebens- und sehenswerten Macken ausgestattet, lässt Kube das Ensemble über die Bühne schwappen, willenlose Wogen vor dem immer herrischer werdenden Revisor, der keiner ist. Darin könnte das Ganze ein gelungener Spielzeitauftakt sein: ein Ensemblestück, das seine Mitglieder spielerisch mal so richtig auf den Putz hauen lässt und es dabei auch zusammenführt.
Nur: Wo bleibt in so einem unverbindlichen Abend die Stadt – das, was sie eigentlich umtreibt? Nicht mal die Hälfte der Wahlberechtigten hatte sich im September dafür interessiert, wer in dieser Stadt Bürgermeister wird. Für ein Theater, das die wunden Stellen seiner Stadt auftun und nicht nur mit versöhnlicher Heiterkeit unterhalten will, ist solche Verdaulichkeit auf der Bühne letztlich arg wenig, auch wenn sie ganz gut gemacht ist. Ironisch eigentlich, dass gerade beim „Revisor“ die Theaterposter bleiben, was Wahlplakate so oft sind: Bloße Behauptung.
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