Von Christina Siegfried: Wo du es nicht lassen kannst!
Die Luxemburg-Stiftung lud ein zum Nach-Denken mit Petra Kelling und Nadja Engel
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Geladen war zur Sonntags-Matinee der Rosa-Luxemburg-Stiftung ins Kabarett am Obelisk. Gekommen war eine (zu) kleine Schar, um Petra Kelling und Nadja Engel zuzuhören und zuzusehen. Beides, sehen und hören, ist nicht zu trennen, denn mit welchem Engagement, welcher Präsenz die beiden kleinen Frauen ihre großen Gedanken, Gefühle und Wünsche formulierten, Texte lasen und in Erinnerungen kramten, das beeindruckte und gab genug Stoff zum Nach-Denken.
Die Schauspielerinnen hatten das Ganze unter den Titel „Viel Arbeit für ein Lächeln oder Die Liebe zu den kleinen Dingen “ gestellt. Eine Wäscheleine war gespannt, an der Plakate und Fotos befestigt waren: „Unsere Wandzeitung für Sie.“ Mit Sequenzen aus Kino- und Fernsehfilmen präsentierten die beiden Künstlerinnen ihre wandlungsreiche Darstellungskunst. Wer erinnerte sich nicht an Petra Kelling in „Sophie Scholl“, „Stilles Land“ oder „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ und Nadja Engel in „Die Bertinis“, dem Tatort „Todesstrafe“ oder „Free Reiner“.
Mit Hermann Hesses „Wallfahrer-Lied“ als Ausgangspunkt tauchte man zunächst in den originellen Abriss eigener Biografie Petra Kellings ein. Was da Studium in Babelsberg hieß, harte Schule Kindertheater in seiner grandiosen Läuterung durch das pubertierend-rebellierende Publikum. Die Konsequenz war, es wurden neue, jugendgemäße Stücke verfasst. So entstand am damaligen Berliner Theater der Freundschaft unter anderem „Keine Angst für Mut“. Was folgte, waren mehr als 80 Filme, zahllose Theaterrollen sowie literarisch-musikalische Programme an der Seite von Gerhard Gundermann, Brigade Feuerstein, Wenzel und Mensching. Es ging in jener Zeit um Änderung im Land, in jener DDR.
Tochter Nadja Engel nennt Maxi Wanders „Frauenmonologe“ – „Guten Morgen, du Schöne“ als initiale Lektüre: „Da hörten sie mir plötzlich ganz anders zu.“ Und summiert Ahnungslosigkeit am Studienende. Nach wie vor fühlte sie sich „naiv und jung“. Unbefriedigend, man weiß es gleich, für die junge Frau, die zu Christoph Schroth nach Schwerin ging und 1988 in Heiner Müllers „Wolokolamsker Chaussee“ den Clown spielt. Mal abgesehen davon, was das zu diesem Zeitpunkt bedeutete, der Clown hat sie nicht losgelassen seither: Ob die Lola in Gundermanns Liederzirkus oder als Schutzengel. Manchmal scheint sie selbst wie dieser Schutzengel Lola auf der Wolke und kann es nicht lassen, einzugreifen in dieses Mühlenwerk des Alltags. Nicht um für sich etwas herauszuschlagen, nein, um den Kleinen, Schwachen und den von Vergessenheit Bedrohten zu helfen, unter die Arme zu greifen – eben ein Lächeln in den Tag zu zaubern.
Mutter und Tochter scheinen da ganz ähnlich: Gegen den Strich bügeln, raus aus dem Mainstream. Borstig mit dem Anspruch auf Soziales und Achtsamkeit, Sich-Kümmern und einem achtvollen Miteinander. Kaum verwunderlich, dass sie im 20. Jahr der „Friedlichen Revolution“ an anderes erinnern, als dies in diesem Jahr noch zur Genüge getan werden wird: Da ist die Illusion, dass Theater etwas bewegen könne, was dann die Straße, ganz anders, getan hat. Da ist eine fast vergessene Demonstration, die vom 4. November, als konsequente Suche nach einem fruchtbaren Dialog. Da sind die Interviewprotokolle mit Kindern, die dann als Lesung unter dem provozierenden Titel „Die Revolution frisst ihre Kinder“ im Berliner Ensemble gelesen wurden. Irritierend, dieser „kassandrische Blick der Kinder“ in jener Zeit
Das Fazit heute? „Im Augenblick zu leben“, sagte Nadja Engel und „gegen den Strom schwimmen. Ja!“ Petra Kelling. Widerborstig sind sie beide und vereinnahmen lassen sie sich von keiner Partei.
Christina Siegfried
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