Kultur: Wo ist die Kunst in diesem Wald?
Kunstprojekte „Fröhliche Wissenschaft“ im Brandenburgischen Kunstverein
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Kunstprojekte „Fröhliche Wissenschaft“ im Brandenburgischen Kunstverein Von Götz J. Pfeiffer Eins, zwei, drei. So einfach ist die Wissenschaft? Und fröhlich noch dazu? Von wegen. Was im Brandenburgischen Kunstverein mit Friedrich Nietzsches Worten in zwei Kunstprojekten und drei Vorträgen erreicht werden soll, ist so anspruchsvoll wie kompliziert. Im letzten Jahr begann der Kunstverein seine ambitionierten Begegnungen an den Schnittstellen von Kunst und Wissenschaft im Kutschstall. Jetzt setzt man die Reihe im Luisenforum fort. Als künstlerische Beiträger lud man Warren Neidich aus New York und die gebürtige Georgierin Thea Djordjadze aus Köln. Der Kunstkritiker Wilfried Dickhoff kam als Gastkurator, ebenfalls aus der Domstadt. Eine Einführung in die Ausstellung sollten seine Worte sein. Doch bevor er noch über das Ausgestellte sprach, gestand Dickhoff freimütig, dies sei sein erstes Projekt „im Osten“. Er sagte dies, als fließe der Ural und nicht die Havel durch die Stadt und witzelte in Richtung der amerikanischen Gäste dann auf englisch und entschuldigend weiter, er müsse jetzt deutsch reden, hier verstehe man als Fremdsprache allenfalls russisch. Das freut die Potsdamer Provinz, und Dickhoff hatte eindruckvoll bewiesen, wie man sich in nicht einmal zwei Minuten unbeliebt machen kann. Erstaunlich, dass er dann bescheiden meinte, seine Worte und Gedanken seien keineswegs Erklärungen, sondern nur „einige Randbemerkungen“. Eines wusste er aber sicher: Kunst sei es, was man ausstelle. Die stolze Selbstbehauptung Dickhoffs zeigt, woran die Bemühungen zeitgenössischer Kunst in mehrfacher Hinsicht kranken. Der Betrachter sieht kaum mehr, was Kunst ist, und das liegt häufig nicht am Fehlen optischer Reize, sondern an wenig ansprechenden Erscheinungen und dem fehlenden Zugang zu den ausgestellten Arbeiten. Doch der scheint Dickhoff überflüssig, nahm er die Projekte von Neidich und Djordjadze auch gleich für alle Kunst in Anspruch: „Es gibt kein Verständnis, sondern nur verschiedene Stufen von Humor“. Und dahin die eine oder andere Stufe zu erklimmen, lade die Ausstellung ein. Wollte man sich den ausgestellten Projekten nähern, braucht man den weiteren „Hinweisen und Anregungen“ des Kurators nicht nachzugehen. Was das Vernissagenpublikum meinte, wurde am schnell ansteigenden Gemurmel unüberhörbar deutlich. Wer Dickhoffs gedankenschwerer Tour de Force durch die französische Philosophie der Postmoderne von Sartre bis Derrida und Lacan trotzdem folgte, fand sich plötzlich nicht mehr in der Ausstellung, sondern vor Dickhoffs jüngstes Buch geführt. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich hier analog des Stücke zerfetzenden Regietheaters eine um sich kreisende Kuratorenkunst zur Schau stellte. Die Installationen Djordjadzes und Neidichs hätten nicht die erdrückende Last kulturwissenschaftlichen Überbaus, sondern handgreiflicher Erläuterungen bedurft. Welche Anregungen erfuhr die Georgierin von den Potsdamer Instituten für Astrophysik, Klimafolgen- und Geoforschung? Ihre raumgreifende Arbeit besteht aus zehn Bäumchen, einer Teichfolie, symmetrisch gelegten Spiegeln, 3 x 2 Blättern mit ausgeschnittenen Tierfotos und zwei Rollen mit Tuschezeichnungen. Sie ist überschrieben „Dipol“. Doch so dunkel wie die schwarze Folie bleibt die Einsicht, worin die Gegensätze bestehen, die sich nach den Worten des Kurators gegenseitig „sowohl aufnehmen als auch aufheben“ – wohin? Und auch sein großes Wort, Djordjadzes Arbeit sei ein „Polylog nicht-identischer Augenblicke“ ließ sich nur so verstehen, dass hier disparate Dinge zu einem Chaos aufeinander treffen. Besser erklärt sich die in zwei Räumen aufgebaute Installation Neidichs, nämlich ein Stück weit selbst. Unter dem Titel „Degas“ Memory: The Camera is Blind“ schlägt der studierte Neurophysiologe und Psychologe einen Bogen vom menschlichen Sehen zu optischen Maschinen, verweist auch auf den aus Potsdam stammenden Physiker und Physiologen Hermann Helmholtz, der sich im 19. Jahrhundert mit diesen Themen auseinandersetzte. Auf den unscharfen Videobildern im ersten Raum hält der fast blinde Fotosammler John Krug Bilder gegen eine grell strahlende Glühbirne und erläutert, was zu sehen ist. Dem korrespondiert die Anordnung im zweiten Zimmerchen. Auf einem Tisch liegen halbdurchsichtige Fotos, von der Decke hängt eine leuchtende Glühbirne. Der Betrachter kann hier nachvollziehen, was das Video zeigt. In Neidichs Arbeit, die im Titel an den langsam erblindenden Maler erinnert, sind Reflexionen über menschliche Wahrnehmung und ihre technische Reproduzierbarkeit angeschlagen. In massenmedialen Zeiten wirkt dies anregend. Leider ist auch hier kaum zu ahnen, welcher Schnittstellen Neidich sich bediente, als er mit den Potsdamer Instituten für Linguistik und Psychologie und dem Berliner Fachinstitut für theoretische Biologie zusammenkam. Um dies besser ermessen und vielleicht auch, um Zugänge zu den Kunstprojekten zu öffnen, wären Erläuterungen zu den einbezogenen Wissenschaften unzweifelhaft hilfreich gewesen. So löst die Ausstellung weder die im Titel versprochene Fröhlichkeit aus, noch gibt sie Hinweise auf einen „Willen zur Dichtung des eigenen Lebens“, wie Dickhoff gleichsam für ein Ausstellungsmotto mancherlei Worte und Gedanken Nietzsches neu zusammenwarf. Auch wenn er noch so künstlerisch sein mag, in diesem Wald sieht man die Kunst nicht mehr. Bis 18. November im Brandenburgischen Kunstverein, Luisenforum. Di-So 12-18 Uhr. Vorträge zu den Kunstprojekten am 21. November und 18. Dezember, jeweils 19 Uhr.
Götz J. Pfeiffer
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