Von Dirk Becker: Worte formen
Catharina Engelke hat Gedichte von Karin Boye in Silberskulpturen verwandelt
Stand:
Die Zeichnung hatte Catharina Engelke schon fast vergessen. Sie war in der Zeit entstanden als sie in Schweden lebte und sich der fremden Sprache näherte. Dabei entdeckte sie die schwedische Dichterin Karin Boye. Und deren Gedichte, deren Worte halfen ihr, Zugang zu finden. Mehr noch. Was Karin Boye in ihren Zeilen schrieb, bewirkte etwas in Catharina Engelke.
Bewegt, sagt Catharina Engelke heute. Bewegt haben sie diese Gedichte, die ihr anfangs aber auch banal und schlicht in ihrer einfachen und poetischen Sprache vorkamen. Doch sie las sie immer wieder, bis der Klang dieser fremden Sprache ihr immer vertrauter wurde. Bis sie diese Sprache förmlich schmecken konnte. Und dann malte sie dieses Bild, weil die Gedichte in ihr blieben und sie diesem Gefühl Ausdruck geben wollte.
Die Zeichnung findet sich nicht in der aktuellen Ausstellung mit acht Silberskulpturen von Catharina Engelke in der Galerie Zitrus. Aber das Gedicht „Danken sollst du“, mit dem alles anfing.
„Du sollst deinen Göttern danken / für den Zwang grad dort zu gehn / wo es keine Fährte gibt / einen Weg zu sehn“, lautet die erste Strophe aus diesem Gedicht, das in der Ausstellung wie die anderen sieben Gedichte sowohl in deutscher als auch in schwedischer Sprache auf schwarzen Tafeln zu lesen ist. Darunter auf hohen Stelen, ebenfalls in Schwarz gehalten, die entsprechenden Silberskulpturen. Catharina Engelkes Interpretationen dieser Gedichte in metallener Form.
Fast möchte man diese verträumten Skulpturen Miniaturen nennen. Auf den ersten Blick sind es zarte und filigrane, schwungvolle und verspielte Gebilde, die bis auf die drei aus Silberdraht geformten Menschen zum Gedicht „Danken sollst du“, wie Variationen über ein Thema wirken, das sich aber nicht auf den ersten Blick erschließen will. So empfiehlt es sich, zuerst die einzelnen Skulpturen zu betrachten und den eigenen Assoziationen freien Lauf zu lassen. Wer danach die Gedichte liest, wird erstaunt sein, wie treffend diese formenhaften Interpretationen von Catharina Engelke sind.
„Ringen will ich“ wirkt wie ein Blatt, das sich schützend wie ein Schild um etwas Werdendes legt. Im gleichnamigen Gedicht von Boye finden sich dann Zeilen wie „Panzer war aus Schreck gegossen“, „Schild und Schwert“ und „Ich sah manchen trocknen Samen / noch erblühn / sah, wie Zweige aus ihm kamen / licht und grün“. Oder „Ja es schmerzt gewiss“, wo sich das Silber aufbäumt wie ein Skorpionstachel, der einen Edelstein schützen will. Und erst bei genauem Hinsehen entdeckt man den feinen Tropfen, der die Spitze ziert. In Karin Boyes Gedicht finden sich dann Tropfen, „Bebend vor Angst sie niederhängen / am Zweig geklammert“. Aber auch von Schmerz ist die Rede, den das stachelartige Gebilde von Catharina Engelke aufzugreifen scheint. Und dann erklärt sich auch der gemeinsame Grundton dieser silbernen Variationen. In Feinheiten und den Anspielungen so unterschiedlich, ist allen Skulpturen eines gemeinsam: Die Bewegung, die sich in den zahlreichen Formen wiederfindet.
„Das ist ein wiederkehrendes Thema in den Gedichten von Karin Boye“, sagt Catharina Engelke. Und diese Bewegung hat sie versucht in ihren Arbeiten aufzunehmen. Es war ein Arbeitsprozess, der in den wenigsten Fällen einfach oder gar leicht war. Als Catharina Engelke die alte Zeichnung zu „Danken sollst du“ wiederfand, kam ihr die Idee für die Skulpturen. Ein sogenanntes Freijahr nutzte die Lehrerin an der Potsdamer Waldorfschule. Als gelernte Goldschmiedin hatte sie nötige Erfahrung im Umgang mit dem Material. Aus den zahlreichen, von ihr übersetzten Gedichten, wählte sie acht für ihr Vorhaben aus. Doch dauerte es oft Wochen, bis sie mit ihren Entwürfen aus Papier so zufrieden war, dass daraus die Silberskulpturen entstehen konnten.
Dieser oftmals quälende Schaffensprozess hat sich gelohnt. Denn wenn auch viele der Skulpturen auf den ersten Blick durchschaubar wirken und die eigenen Assoziationen beim Betrachten in den Gedichten von Karin Boye, die in Schweden zur Schullektüre gehören, sehr schnell wiederzufinden sind, entsteht gerade im Wechsel vom Lesen der Gedichte und dem Betrachten der Skulpturen eine neue, verwirrende aber auch inspirierende Form der Interpretation. Hinzu kommt, dass Catharina Engelke das Silber der Skulpturen auf Hochglanz poliert hat und so sich die Bewegungen des Betrachters oder andere Besucher der Ausstellung in ihnen verzerrt widerspiegeln. So zeigt sich, dass Worte manchmal mehr brauchen als nur die Form, die ihr Sprache geben kann.
Noch bis zum 7. März in der Galerie Zitrus, Allee nach Sanssouci 2, mittwochs bis sonntags, 12-18 Uhr
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: