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Kultur: Wunderbare Zumutung Rilke
Der „Club der toten Dichter“ im Nikolaisaal
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Wer liest heute noch Rilke außer introvertierten suizidalen Gymnasiasten und Ben Becker? Rilke, der Schwerenöter, der Nietzsche-Fan, der feinsinnige Beobachter. Er wird gelesen oder zumindest im Gedächtnis mitgeschleppt und bei Gelegenheit herausgeholt. Jetzt zum Beispiel. Denn so wie Goethe unweigerlich in den Frühling gehört, kommt man beim ersten Blätterfall an Rilkes „Herbsttag“, Glaubensbekenntnis der Gemeinde der einsamen Leidenden, nicht vorbei.
Reinhardt Repke hat ihm nach Heine und Busch sein drittes Programm gewidmet: „Club der toten Dichter“. Damit steht er in der Tradition so einiger bekannter Musiker, von Arnold Schönberg bis Anne Clark, die sich an diesem Stoff versuchten. 24 vertonte Gedichte in fast zweieinhalb Stunden, ein gewaltiges Programm, von dem man Samstagabend im Nikolaisaal manchmal nicht wusste, wo es hinführen sollte. Katharina Franck lieh ihm ihre eingängige, markante Stimme, die einstige „Rainbirds-Sängerin“ wusste gestenreich zu artikulieren, weich und kraftvoll. Dazu das männliche Pendant: Wenn Repke sang, ergab sich eine Mischung aus Johnny Cash und Keimzeit, die das Geheimnisvolle, Unnahbare neutralisierte. Die Band mal verhalten, ein stiller Begleiter, die lyrischen Bilder tragend, dann wieder vorpreschend, eilig, aufgeregt.
Das passte zu dem Liebenden Rainer Maria Rilke, der doch so viel aus seinem sich Verzehren geschöpft hatte. Gar nicht so traurig der „Herbsttag“, eher ein Aufruf zu eilen, wann, wenn nicht jetzt? Es überraschte, wie leicht sich die Dichtung, geschrieben vor einem Jahrhundert, in die heutige Zeit einpassen lässt, wie leichtgängig sie sich fügt – und wie gefährlich unaufmerksam man werden kann, wenn es dahinplätschert, eingebettet in ein gefälliges musikalisches Programm. Darf man bei Rilke abschalten?
Wer zweieinhalb Stunden lang ergriffen und ehrfürchtig lauschen wolle, kam bald an seine Grenzen. Rein akustisch musste man sich bisweilen etwas anstrengen, gerade Katharina Francks Stimme wurde hin und wieder vom Schlagzeug, das an sich schon zurückhaltend bespielt wurde, überlagert. Nichts für Wort-Fetischisten, wenn Rilkes ausgefeilte, bedeutungsschwere Sprachschöpfungen im Instrumentenkarussell verschwinden. Das hätte man dem Publikum leichter machen können, gerade da die Stimme verdientermaßen im Mittelpunkt stand.
Was allerdings vollends irritierte, waren die Zwischenmoderationen Repkes. Wer zwischen fünf Gitarren wechseln muss, hat freilich Zeit zu überbrücken – aber wollte man die Geschichten aus der Mecklenburgischen Pampa, über Wolfsrudel und depperte Polizisten, wirklich hören? Die Pausenclownerie des Musikers, der in seinem an sich nicht unsympathischen Erzählstil irgendwie zwischen Helge Schneider und Rainald Grebe angesiedelt liegt, legte den Verdacht nahe, der Musiker wäre sich nicht sicher, ob dem Publikum ein Rilke-Abend zugemutet werden könnte. So manches Schöne – und es gab vieles, was das Herz bewegte – wurde dabei schlichtweg zerquatscht. So hatte das zärtliche a-cappella-„Schlaflied“, nur mit einem Kinderpiano begleitet, am Ende auch etwas Erlösendes.
Steffi Pyanoe
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