Kultur: Wunderbares Zuhause
Das KunstWerk, der Sitz des „Offenen Kunstvereins“, begeht sein 20-jähriges Bestehen
Stand:
Er feiert in diesem Jahr seinen Zwanzigsten. Umgerechnet sind das, von vergangenen Freitag aus betrachtet, etwa 175 316 Stunden, vom Kleinzeug hinter dem Komma mal abgesehen. In dieser Zeit hat dieser Verein quasi „drei Generationen Kunst“ hervorgebracht. Gründungsmitglieder wie Barbara Raetsch, Frank Weber und der Neuköllner Peter Held sind darauf nicht weniger stolz als all jene, die einst, als Kinder noch, dazukamen. Heute haben die meisten der Jungen einen künstlerischen Berufsabschluss, so breit gefächert, wie sich dieser Club der gemäßigt Unangepassten noch heute zwischen Medienwelt, Theater und Angewandter Bildkunst bewegt.
Vom Jubiläumsgeist war am vergangenen Freitagabend auch die Vernissage zur „Retro-Perspektive“ mit Werken von neun „eingeborenen“ Künstlern geprägt, der Jubiläumsausstellung schlechthin, verteilt auf drei Räume in zwei Etagen. Was dem Ex-Westberliner Vorstand Peter Held freilich zum Thema Profis und Volkskunst in der DDR einfiel, zu Anpassung und Widerstand jenseits seiner Sphären, sollte wohl zur Selbst-Bestimmung der „stellvertretend Ausgestoßenen“ von Heute herhalten. „Wir sind zum Fallen geboren“, war da zu hören. Nanu, für andere, die eine geistige Heimat, Nestwärme und Zuspruch suchten, war der Offene Kunstverein doch eher „ein wunderbares Zuhause“.
Interessanter als alle Polemik sind die Sichten der „jüngeren“ Künstler auf ihre Zeit, auf ihre Welt, zumal sich dabei ja in dieser Ausstellung auch eine Menge „Retro“ verbirgt. So ist die 28-jährige Luise Schröder 2007 nach Auschwitz gefahren, um am „Holocaust-Tag“ eine Gedenkveranstaltung zu filmen, bei der man bald den Eindruck gewinnt, es gäbe da, inmitten fallenden Schnees, nicht mehr viel zu sagen, zwischen den drei Generationen Mensch, was ist diese regulierte „Erinnerungskultur“ also noch wert? Die Autorin setzt das mit dem Bombenterror auf Dresden im Februar 1945 in Bezug. Antwort auf ihre Fragen soll der Betrachter finden.
Nora Raetsch ist mehrmals vertreten, einmal mit Puppen ihrer Diplom-Inszenierung zu „Carmen“, aber auch mit „Bildern“, deren Struktur die Zweidimensionalität verlässt. Es sind Raum- oder vielleicht Bühnen-Bilder, darin ein Kupfermann Länge und Kraft des Mondschattens auslotet, ein anderer den befiederten Sommer erkundet. Für Jenny Bellmanns Miniaturdrucke „Folge dem Herzton“ werden sich Interessenten finden, ihre Tempera-Arbeiten „Gilbert – die Windmühle träumt eine Rakete zu sein“ geben im großformatigen Bildentwurf eher Rätsel auf.
Auch ein Rebus muss mal sein! Nicht zu vergessen die titellosen Acrylbilder von Moritz Heiligendorf mit breitem Farbspektrum und einem echten Kindertraum im Kopf. Originell drückt Julia Brömsel ihr Verhältnis zu Mensch und Welt aus, ihre „langnasige“ Bildsprache bewegt sich verträumt zwischen Kind und keimender Weisheit, eigentlich nah.
Luise Marbach zeigt am Eingang der ersten Etage eine unbetitelte Video-Installation mit Holz und Pappe, Martin Wolf erinnert mit dem unübersehbaren Tempera-Bild „Räumung Boumanns“ an ungewiss vergangene Zeiten. Diese befinden sich dann im Obergeschoss als Plakatwand, Fotoalbensammlung und Fotodokumentation, sozusagen in der Dokumentarabteilung vom Verein.
Hier stößt man auch auf Fundstücke vergangener Projekte und bekommt Informationen zu seiner internationalen Zusammenarbeit und Ausstrahlung. Jubiläum sei zwar das ganze Jahr Nullzehn, so war zu hören, diese etwas spröde Ausstellung aber gibt es nur noch bis zum 11. Juli zu sehen. Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: