zum Hauptinhalt

Kultur: Wundern statt klagen

Sehnsuchtsvolle Lieder vom Kommen und Gehen mit Gianmaria Testa im Nikolaisaal

Stand:

Manche Suche endet mit einem Lied. Alle Wege sind beschritten, sämtliche Möglichkeiten durchgespielt. Doch das Ziel ist nicht erreicht. Was bleibt, ist Erinnerung an das, was noch immer vermisst wird und an die vergebliche Suche danach. Damit das alles nicht verblasst und damit der Schmerz erträglich wird, hilft manchmal nur ein Lied.

Gianmaria Testa hat ein solches am Freitagabend im Foyer des Nikolaisaals gesungen. Ein einfaches Lied, wie alle Lieder des 49-jährigen Italieners. Und wie so oft an diesem Abend berührte Gianmaria Testa den Zuhörer genau dort, wo es ihn ganz besonders trifft: im Herzen.

Testas Lied war das eines Flüchtlings, der in einem dieser überfüllten Boote über das Mittelmeer nach Italien kam. Mit ihm auf dem Boot war eine Frau, deren Blicke ihm die Kraft gaben, diese Höllenreise zu überstehen. Am Ende der Irrfahrt, auf der Insel Lampedusa gestrandet, wurden beide getrennt. Den Namen der Frau kannte er nicht. Nur diesen Blick, der ihn nicht mehr los lassen sollte. Später machte er sich auf die Suche nach ihr. Vergeblich.

Auf seinem aktuellen Album „Da questa parte del Mare“ hat Gianmaria Testa das Flüchtlingsproblem zu seinem Hauptthema gemacht. Testa ist ein politischer Musiker. Aber keiner von der aufdringlichen Art. Er klagt nicht an. Gianmaria Testa wundert sich nur über die Ungerechtigkeit, die er heute tagtäglich in seiner Heimat erlebt. Und seine ehrliche, unprätentiöse, dabei so entwaffnende und gleichzeitig überzeugende Art sich zu wundern, wiegt schwerer als jede Anklage.

Das Konzert in der Reihe „The Voice in Concert“ war schon seit Wochen ausverkauft. Man kann den Veranstaltern nur dankbar sein, dass sie die Überlegung, das Konzert in den Saal zu verlegen, wieder verwarfen. Als Gianmaria Testa auf die kleine Bühne im Foyer des Nikolaisaals trat, freundlich die Gäste begrüßte, seine Gitarre griff und anfing zu spielen, war mit den ersten Tönen klar, dass dieser Ort nicht besser hätte gewählt sein können.

Oft ist vom Minimalismus gesprochen worden, wenn jemand auf der Bühne sich mit seiner Musik auf das Wesentliche beschränkt. Bei Gianmaria Testa merkte man jedoch schnell, dass man diesen Begriff bisher fast schon inflationär verwendet hatte. Testa spielte einfache Akkorde mit einem zurückhaltenden und gefühlvollem Fingerpicking. Darüber dann seine raue, schmeichelhafte, fast schon erzählende Stimme. Das Wenige hat bei diesem Mann eine unwahrscheinliche und dabei gleichzeitig unaufdringliche Präsenz. Man hört Testa zu, als würde man zum ersten Mal solche Musik, solche Lieder, solche kleinen Wunder hören.

Viel Melancholie steckt in den Liedern des Italieners, in die er mal ein wenig Jazz oder Blues und dann wieder etwas Chanson hineinmischt. Und immer schwingt eine Sehnsucht, eine gewisse Ruhelosigkeit mit. Vor seiner Musikerkarriere hat Gianmaria Testa lange Jahre als Bahnhofsvorsteher in der norditalienischen Stadt Cuneo gearbeitet. Fast täglich hat er Menschen auf Reisen beobachtet, das ständige Kommen und Gehen hat Spuren in ihm und seinen Liedern hinterlassen.

In Piero Ponzo hat er einen musikalischen Begleiter gefunden, der diese Melancholie und Sehnsucht wunderbar mittrug. Ob auf der Klarinette oder dem Saxophon, ob auf einem kleinen Harmonium oder einem Koffer, das Wenige, das Testa vorgab, wusste Ponzo perfekt zu ergänzen. Selbst eine Plastiktüte brachte er zum Klingen. So verging ein Abend zwischen Humor und Ernst und Kleinoden von Liedern, die einen mit fast schon kindlichem Staunen zurückließen.

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })