Kultur: „Würdest du mich sehen wollen, für ein oder zwei Stunden?“
Der Paul-Celan-Abend mit Schauspieler Ben Becker und dem Musiker Giora Feidman war ein Kraftakt, auch für das Publikum
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Am Ende siegt der Schelm in ihm. „Paul Celan auf die Bühne zu bringen, das war ein Wagnis – das hat sich bis jetzt noch keiner getraut.“ Ob es funktionieren würde, das wollte er wissen, sagt Ben Becker und schaut, befreit und gleichzeitig triumphierend zum Publikum im Nikolaisaal. Da gibt es – noch einmal – Beifall für den Schauspieler und Giora Feidman, der ihm gerührt zur Seite steht.
Es hat funktioniert. Dienstagabend ist das Haus für die Vorstellung von „Zweistimmig“ fast ausverkauft. Es ist nach einer Voraufführung die Premiere der Lesung von Celan-Gedichten, eingebettet in die wunderbare Musik des Klezmer-Musikers Giora Feidman. Die Kombination ist ein Glücksfall, sensibel haben sie hier zusammengefügt, was vielleicht ohnehin zusammengehört. Nur so ist die Lyrik Celans, der in seinen Gedichten wieder und wieder den Holocaust thematisiert, in so geballter Form erträglich. Und Feidmans Anwesenheit bedeutet mehr als nur seelenvolles Spiel: Es öffnet Türen und bietet eine hoffnungsvolle Sichtweise jenseits eingefräster Denkstrukturen – wenn er sich und seine Musiker durch alle Gefühlslagen schickt und am Ende stets die Zärtlichkeit siegt.
„Würdest du mich sehen wollen, ein oder zwei Stunden?“, hatte die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann an ihren geliebten Paul geschrieben – aber nie abgeschickt. Becker beginnt mit diesem Brief, wie eine Einladung an das Publikum. „Ein oder zwei Stunden“. Er liest aus der Seele eines gequälten Menschen, der seine Mutter im KZ verlor und die Schuld vieler Holocaustüberlebender fortan mit sich trug. Becker liest aus sehnsuchtsvollen Liebesbriefen zwischen ihm und seiner Frau, liest zärtliche Zeilen an seinen Sohn, sein Vermächtnis an die Welt, gezeichnet, weil er Celans Mutter ähnlich sah. Er liest auch die „Todesfuge“, Celans größtes, schlimmstes und schönstes Gedicht, ein Kraftakt, bis Feidman alle Wut mit der Klarinette hinausschreit, dass man Angst hat um den kleinen, gebeugten Mann.
Becker kombiniert die ihm eigene, oft nur scheinbar gezähmten Stimme mit feiner Gestik, und er muss sich herunterbeugen zum Mikrophon, so spricht und liest es sich vielleicht leichter, so entsteht aber auch eine Verneigung. „Paul Celan – Danke schön“, sagt er zum Schluss. Und irgendwie meint er damit auch sein Publikum, das sich auf diesen Abend eingelassen hat. Steffi Pyanoe
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