Kultur: Zaungast in Arcadia
Lesung Hugo Hamiltons in der Villa Kampffmeyer
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Lesung Hugo Hamiltons in der Villa Kampffmeyer Deines und meines, drinnen und draußen, ich und die anderen. Grenzziehungen geben Orten und Identitäten ihre Bedeutung. Die Villa Kampffmeyer inmitten des Villenparks Arcadia gegenüber der Glienicker Brücke ist Teil einer so genannten „gated community“, einem hermetischen Areal, auf dem eine klare Grenzziehung bereits vorgegeben ist. In gesellschaftlich immer unruhigeren Zeiten gewährt ein Leben im geschützten Kunstidyll Geborgenheit vor der wenig arkadischen Wirklichkeit. „Den starken Zaun vor dem Wasser sieht man nicht“, heißt es im Verkaufsprospekt, „er steht in einem breiten Graben“. Die vom Verein Berliner Vorstadt zu Hugo Hamiltons Lesung geladenen Gäste werden vom „Doorman“ eingelassen, einer feineren Art des Hausmeisters, der auch über die Sicherheit des Areals wacht. Man schreitet zur prächtigen Auffahrt der Kampffmeyer Villa. In den zusammenhängenden Salons im Erdgeschoss, wo die beinahe hundert Gäste Platz genommen haben, ist vor kurzem noch die Society-Blondine Shawn Borer-Fielding durchgeschwebt. Das Exklusive des Ortes erzeugen eine Ehrfurcht, vielleicht auch eine Stimmung der Duldung und gar des Ausgeschlossenseins. Hamilton kennt als vom Eigentümer mit ein wenig werblichem Hintersinn eingeladener „Writer in Residenz“ das Gefühl, in einer „gated community“ zu leben nicht nur durch diesen dreimonatigen Aufenthalt in „Arcadia“. Sein autobiographisches Buch „Gescheckte Menschen“, beschäftigt sich mit dem Gefühl des Ausschlusses von einer englischsprachigen Umwelt in Dublin, das seine Kindheit prägte. Der irisch-nationalistische Vater verbot jedes englische Wort, denn Englisch war die Sprache der verhassten britischen Kolonialmacht. Während der Vater den Kindern das Irische bzw. Gälische befahl, sprach die aus dem Rheinland stammende Mutter mit den Kindern Deutsch. Hamilton trägt stehend vor und würzt die Textpassagen mit heiteren Anekdoten. Von seiner Muttersprache hat er nichts verlernt. Sein Buch kann als Erinnerungsarbeit in einem aus früher Kindheit stammendem und bereits mit dem Moos des Vergessens überlagerten Gedächtnissteinbruch betrachtet werden, einem gängigen Literaturmuster, denkt man an Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“. Bruchstücke einer nicht sonderlich spannenden, aber dennoch einzigartigen Kindheit werden durch sprachliche Verdichtung und Dramatisierung zu einer zusammenhängenden Erzählung, man kann erwarten, dass auch die Fantasie einen Beitrag dazu geleistet hat. Drei Geschwister spielen wild im elterlichen Kleiderschrank, bis dieser so umfällt, dass die Türen versperrt sind. In der Villa Kampffmeyer demonstriert Hamilton, das seine literarische Güte daraus einen Text macht, über den das Publikum freundlich auflacht. Die Mutter ist eine vorzügliche Kuchenbäckerin, ihr Rezept bezeugt Leidenschaft: „Rühre den Teig nur in eine Richtung“, liest Hamilton, „sonst schmeckt er hinterher nach Zweifel“. Aber nicht alles ist harmlos: die Mutter hat eine Vergewaltigung durch ihren Vorgesetzen während der NS-Zeit zu verarbeiten, der Vater stirbt an einem dramatischen Bienenangriff. Verwoben sind in diesen Kindheitserinnerungen Auseinandersetzungen mit der dunklen deutschen Vergangenheit. So vergleicht der kleine Hugo Fotos vom irischen Freiheitskämpfer Patrick Pearce und von Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Schnittchen warten schon, die Gesellschaft steht auf, ersteht ein Buch und läßt es sich vom geduldigen Autor signieren. Sogar ein verstohlener Blick in die oberen Gemächer kann gewagt werden. Vorher wurde man jedoch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nur soviel: das Badezimmer der Bohrers war schön und modern. Man genießt den herrlichen Blick von der Terrasse. Es stimmt tatsächlich: den stabilen Zaun sieht man wirklich nicht. Jemand flüsterte während der Lesung: „Wäre mal spannend zu fragen, wie denn das Ost-West Verhältnis heute Abend ist“. Vieles ist eben eine Frage der Grenzziehung. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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