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Das Speichermedium schlechthin: Torf. „Mein Anti-Bauhaus“ entstand 1982, das „Bücherregal“ kam 2020 hinzu.

© Sebastian Rost

Ausstellung im Kunstverein Kunsthaus: Zeit, die greifbar ist

Silvia Klara Breitwieser fragt in ihrer Potsdamer Schau danach, was war und was bleibt – und konfrontiert mit einem Sarg.

Von Helena Davenport

Ein wenig abstrus mag es klingen: Silvia Klara Breitwieser setzt sich mit Tüchern auseinander, mit deren Oberflächenstruktur, Form- und Anpassungsfähigkeit. In ihrer Ausstellung im Potsdamer Kunstverein Kunsthaus präsentiert Breitwieser gerade direkt neben der Eingangstür ein mit Ton gehärtetes Tuch auf einem Sockel, genauer gesagt eine Windel. Das erste Tuch, zu dem der Mensch eine Beziehung aufbaut, welches quasi seine nächste Umgebung darstellt – um ihn auf das Leben vorzubereiten, das er im Leichentuch verlässt.

Breitwieser geht der Beziehung zwischen Dingen und Mensch auf den Grund. „Essenzen“ heißt ihre Schau, in der sie Werke präsentiert, die von 1972 bis 2020 entstanden. Tücher betrachtet sie als Symbol für des Menschen Bedürftigkeit. Wer die Dinge übergehe, übersehe dabei, dass er über sie den Menschen wiederfindet, heißt es in einer Erklärung der Künstlerin.

Die Künstlerin Silvia Klara Breitwieser in ihrem Potsdamer Atelier.
Die Künstlerin Silvia Klara Breitwieser in ihrem Potsdamer Atelier.

© privat

Man muss sich einlassen auf Breitwiesers Gedankenkonstruktionen, auf ihre Materialstudien und die daraus resultierenden Verknüpfungen. Dann können sie in ihrer erfrischenden Logik geradezu befreiend wirken. Die heute 80-jährige Künstlerin, die in Berlin-Moabit lebt und im Potsdamer Atelierhaus Panzerhalle arbeitet, baut in der Schau unter anderem eine Beziehung zwischen zwei Gegenständen auf, die hinsichtlich ihrer Form nicht gegensätzlicher sein könnten. Und das tut sie, indem sie das Gegenteilige durch ihre künstlerische Ausdrucksform widerspiegelt: Auf positiven und negativen Fotografien sind immer wieder ein spitzer Nagel und eine Faust zu sehen. Während ein Nagel teilen kann, kann eine Faust festhalten.

Formen als Symbole

Das Männliche und das Weibliche greift die Künstlerin in einer anderen Arbeit auf, die mit „Mannsbilder und Frauenzimmer“ betitelt ist. Hier hat die Künstlerin lateinische Begriffe – männlich konnotierte und weiblich konnotierte – auf kleine Schaukästen verteilt. Die männlichen Worte hat sie mit Fotos vereint, in den weiblichen Kästen thronen stattdessen kleine umrahmte Leerstellen, aufnahmebereit, empfänglich. „Wie konnte sie verhindern, daß er auf ihrem Körper und ihrer Seele seine vier Wände errichtete“, steht in einem isolierten Kästchen geschrieben, ein Zitat aus Clarice Lispectors Roman „Nahe dem wilden Herzen“ von 1943.

Die Ausstellung dient selbst der Dokumentation

Schnell wird klar: Es geht hier nicht allein um die Dinge an sich, sondern auch um die Frage, was Ausgangsmaterial ist und daraus erschaffen wird, was war und was bleibt. Dazu passt es, dass die Künstlerin auch die Schau selbst für die Dokumentation nutzt und hier Arbeiten in Erinnerung ruft, die nur temporär sichtbar waren. So machte Breitwieser 1996 mit ihrer Installation „Die Potsdamer Botschaft“ auf dem Platz der Einheit auf das Fehlen einer Kunsthalle für die Gegenwartskunst in Potsdam aufmerksam. Die Straßenschilder, die sie entwarf – mit Botschaften, Namen und Rufnummern von 15 deutschen Museen – sind nun an der Berlinischen Galerie zu sehen. Die Potsdamer Schau zeigt Texte darüber und Fotos davon.

Torf als ideales Material für eine kleine Frau

Besonders anschaulich sind aber Breitwiesers Torfbücher. Im Innenhof des Kunsthauses steht sogar ein ganzes Torf-Ensemble, bestehend auf Sitzgelegenheiten und einer Bibliothek. „In einer Torfschicht von zwölf Zentimetern verbergen sich 120 Jahre“, sagt Breitwieser. Auf dieses Speichermedium schlechthin kam sie Anfang der Achtziger. Vorher arbeitete sie vornehmlich mit Ton. Das Jahr 1982 war traurig, erzählt sie – sie hatte gerade ihren Vater verloren, der an Alzheimer zerbrach, wie sie es nennt. Daraufhin habe sie sich geschworen, nicht mehr mit dem zerbrechlichen Material Ton zu arbeiten. In Norddeutschland entdeckte sie Torf: greifbare Zeit, rostfarben, imposant und leicht zugleich, das ideale Material für eine kleine Frau. Von nun an habe sie, genau wie ihr Mann, der Schriftsteller Dietmar Kamper, auch auf Reisen arbeiten können. Und anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin baute sie 1987 ihr 30 Meter hohes „Torfforum“ am Anhalter Bahnhof auf.

Attacke auf die Bilderflut

Eine weitere Arbeit sticht im Kunsthaus heraus: „DIArium (BILD-LOS)“. Viele leere Diarahmen ergeben nebeneinandergestellt eine Art Raster, das aus der Ferne fast an einen Häuserblock erinnert. Besucher haben die Möglichkeit, die Arbeit durch ein Drachenauge, eine Facettenlinse, zu betrachten, das die unzähligen Rahmen noch um das 16-fache vervielfacht. Eine „Attacke auf die Bilderflut“ nennt Breitwieser die Arbeit. Mit dem Seriellen befinde sie sich eigentlich im Clinch, andererseits brauche sie es als Kontrast zum inneren Chaos.

Breitwieser möchte ihre Kunst digitalisieren, damit sie bestattet werden kann.
Breitwieser möchte ihre Kunst digitalisieren, damit sie bestattet werden kann.

© Sebastian Rost

Was ist essentiell? Das ist hier die Frage, um die der Besucher nicht drumherum kommt. Steht doch ein metallischer Sarg in der Mitte des Raumes. Im Innern stecken bereits einige Festplatten. Das Ganze sei aber noch ein Dummy, so Breitwieser, „Gott sei Dank sei diese Arbeit noch nicht vollendet.“ Sie möchte ihre Werke digitalisieren, auf „Sarg-Kubikmeter reduzieren“, und in Form von Speichermedien mit sich bestatten lassen. Um die jüngere Generation von der Pflicht zu befreien, sich um den Nachlass zu kümmern. Einen festen Wohnort habe man heute schließlich nicht mehr, sagt Breitwieser. Für ihr Sarg-Projekt suche sie noch Spender. Im zugehörigen Manifest heißt es: Kunst komme aus dem kollektiven Unbewusstsein und wolle dahin zurück.

Ausstellung bis 12. April, Kunstverein Kunsthaus, Ulanenweg 9

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