Von Klaus Büstrin: Zeitenwechsel
Michael Lüder begab sich in „Nacht-Räume“ auf Mauer-Spurensuche
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„Der Blick von der Glienicker Brücke wetteifert mit den schönsten Punkten der Welt“, soll Alexander von Humboldt gesagt haben. Die Sichtachsen zur Heilandskirche Sacrow oder zum Schloss Babelsberg gehören zum Eindrucksvollsten, was die preußische Kulturlandschaft zu bieten hat. Seit 20 Jahren, mit dem Fall der Berliner Mauer, hat die Verbindung zwischen Berlin und Potsdam wieder ihre Mitte gefunden.
Die Glienicker Brücke stand in den vergangenen Tagen bekanntlich mit der Eröffnung der Villa Schöningen als Geschichtsmuseum und mit dem Bürgerfest im Mittelpunkt des Interesses. Doch nun wird wieder der Alltag auf ihr einkehren. Verkehrslärm am Tag und weitgehende Stille in der Nacht.
Es muss ein ruhiger Spätabend gewesen sein, als sich vor fünf Jahren der Potsdamer Fotograf Michael Lüder mit seiner Kamera auf den Weg machte, um diesen besonderen Ort der Teilung und der Wiedervereinigung Deutschlands aufs Bild zu bannen, die Brücke mit seinen verschiedenen Architekturen und der besonderen Atmosphäre.
Alle Fotografien, die Michael Lüder derzeit in der Landeszentrale für politische Bildung präsentiert, sind „Nacht-Räume“. Der 49-Jährige begab sich auf Spurensuche in der Dämmerung oder in der Nacht. Die einstige künstliche Trennung Westberlins von Ostberlin und dem Umland war sein Ziel. Rund 155 Kilometer lang war die Mauer.
Vor fünf Jahren begann er mit dem Projekt. Er wählte wohl vor allem markante Stellen der ehemaligen Grenze in der Bundeshauptstadt und in Potsdam aus. Michael Lüder wollte erkunden, welche Relikte der unmenschlichen Mauer noch zu finden sind. In den seltensten Fällen waren sie zu entdecken, manche schon verwischt, die meisten haben aber den Zeitenwechsel glücklich überstanden, wurden mit neuem Leben gefüllt. Des Fotografen atmosphärische Nachtbilder haben alle einen Hauch von Romantik in sich. Sie strahlen Ruhe und Frieden aus. Selbst die monumentalen Bauten des Potsdamer Platzes haben in der Distanz, wie sie Lüder aufnahm, noch etwas Idyllisches. Sie erinnern kaum an die Zeiten der DDR-Diktatur. Vielleicht am meisten die fotokünstlerischen Arbeiten von der Sonnenallee (Treptow/Neukölln) und der Schützenstraße (Kreuzberg), in denen die Brachen stark an die Wunden, die die Mauer hinterließ, erinnern. In der Sonnenallee, die durch den gleichnamigen Film von Leander Haußmann Kultcharakter bekam, befinden sich noch traurig in die Nacht blickende real-sozialistische Beton-Wohnhäuser, die auf ihre Wiederbelebung oder ihren Todesstoß warten. Auch in der Erna-Berger-Straße im Tiergarten fand Michael Lüder ein „Bauwerk“ der Mauer, einen Wach- und Beobachtungsturm der Grenztruppen, in der Niederkirchnerstraße ein Teilstück der 3,60 Meter hohen Betongrenze, das heute als Mahnmal unter Denkmalschutz steht. Die Kunstaktion aus dem Jahre 2004 mit den 1065 Kreuzen am Checkpoint Charlie in Kreuzberg zum Gedenken an die Mauertoten konnte der Künstler gerade noch fotografieren, denn im Frühjahr 2005 mussten sie bereits geräumt werden.
Michael Lüders Fotografien die dokumentarischen Wert und künstlerischen Rang besitzen, wollen erinnern, aber sie erzählen auch von der Überwindung des Freiheit raubenden „antifaschistischen Schutzwalls“ in schönen Bildern zur Dämmer- und Nachtzeit.
Doch der Blick von der Glienicker Brücke, der „mit den schönsten Punkten der Welt wetteifert ist eher bei Tageslicht auszumachen.
Bis 18. März, Landeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Mann-Allee 107.
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