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Kultur: Zerlegte Welt

Am Sonntag wird in der Galerie Kunstraum Eva-Maria Schöns Ausstellung „Kartenzeit“ eröffnet

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Die Welt hat ihr bekanntes Gesicht verloren. Sie ist zerlegt in ihre Kontinente und scheinbar willkürlich wieder zusammengesetzt worden. Sie hat ihr Farbe verändert, manchmal auch leicht die Form. Sie zwingt zu einem genauen Hinschauen, denn das schnelle Wiedererkennen ist hier nicht mehr gewährleistet. Diese Welt ist uns bekannt und doch auch fremd.

Es ist die Welt von Eva-Maria Schön, die in der Ausstellung „Kartenzeit“ zu sehen ist, die am morgigen Sonntag in der Galerie Kunstraum eröffnet werden soll. Und es ist unsere Welt, wie wir sie von Stadtplänen, Landkarten, Plastikglobus und Flugreisen kennen. Doch das, was wir kennen, die bekannten Umrisse der Kontinente, der Verlauf von Flüssen, Straßennetzen, hat Eva-Maria Schön verändert. Manchmal nur leicht, durch ihre Maltechnik, manchmal stärker, in dem sie einfach weglässt, was in Wirklichkeit vorhanden ist. Es ist das bekannte Verwirrspiel mit den Sehgewohnheiten, das Eva-Maria Schön in „Kartenzeit“ betreibt.

Ihr erstes Kartenbild hat die in Berlin lebende Eva-Maria Schön vor drei Jahren fertig gestellt. Eva-Maria Schön sagt bewusst nicht „gemalt“. Im Wort malen scheint ihr zu viel künstlerische Freiheit mitzuschwingen. Und allzu viel Freiheit erlaubt sie sich bei ihren Arbeiten nicht. Die Erde, wie wir sie kennen, soll, auch von ihr zerlegt und verfremdet, immer noch erkennbar bleiben. Es geht ihr vor allem um neue Blickwinkel und Sichtweisen, ein Aufbrechen unseres genormten Verständnisses von dieser Welt.

Zwischen den letzten Vorbereitungen für die Ausstellung hat Eva-Maria Schön sich Zeit genommen und führt durch die Räume der Galerie Kunstraum. Sie zeigt Bilder, die auf den ersten Blick das feine Nervensystems eines fremden Organismus darzustellen scheinen. Dann werden Straßenverläufe erkennbar, wie man sie von Stadtplänen kennt. „Das sind Pläne von Berlin, Paris und Jerusalem“, sagt die 59-Jährige. Sie hat nur einen Ausschnitt der Straßen gewählt, Flüsse und anderes weggelassen und das Netz auf einen farblichen Untergrund gelegt. So wird das Abstrakte des Stadtplans verfremdet und gleichzeitig näher an die Wirklichkeit geführt, in dem die Straßen zu Teilen eines pulsierenden, lebenden Etwas werden.

Egal, wie präzise die Messtechnik heute auch betrieben wird, auf einer Landkarte ist immer nur Verkleinerung, Vereinfachung und Reduzierung zu sehen. Und jede neue Karte, jeder neuer Stadtplan ist, bevor sie überhaupt gedruckt sind, schon wieder überholt. „Diese Welt verändert sich permanent.“ In ihrem Zyklus der zerlegten Welt, einmal aus der Luft, einmal aus dem Erdinneren betrachtet, hat Eva-Maria Schön diese über Jahrmillionen entstandenen Veränderungen wie in einem Zeitraffer festgehalten. Nicht mit einem Pinsel, sondern mit ihrer Hand hat sie dabei gearbeitet.

Ein leichtes Vibrieren ihrer Hand nur, erklärt Eva-Maria Schön, so hat sie die Farbe auf dem Papier verteilt, die Umrisse der Kontinente entstehen lassen und so ein eigenes Bild von den Kräften der Plattentektonik geschaffen. Sie hat mit Wischtechnik und Pinseltupfern Nord- und Südpol umrissen. Beide hängen nun wie ungleiche Zwillinge nebeneinander, als wären sie auf einem Ultraschallbild festgehalten. Dabei arbeitet Eva-Maria Schön fast ausschließlich mit grauen und erdigen Farbtönen.

Auf einem Tisch, sie nennt ihn Labortisch, liegen zerknüllte Landkarten, sie wirken wie Altpapier. Im Grunde verkehrt hier Eva-Maria Schön das kindliche Phantasiereisen, wo der Finger auf der Landkarte genügt, um sich sekundenschnell an fremde Orte zu träumen. Durch ihre Knülltechnik bringt sie so diese Orte einfach zueinander.

Manchem mag das allzu trivial erscheinen. Doch Eva-Maria Schön hebt so auf ganz einfache Art und Weise das Prinzip von Landkarten aus den Angeln: Ein statisches Verständnis von unserer Welt. Es ist nun wahrlich ein Allgemeinplatz, dass diese Welt sich ständig verändert. Doch wie Eva-Maria Schön sich in „Kartenzeit“ mit diesem Allgemeinplatz auseinandersetzt, gelingt es ihr, dass der Betrachter mit einem anderen Blick auf das Wohlbekannte unserer Welt schaut.

Die Ausstellung „Kartenzeit“ wird am morgigen Sonntag, 16 Uhr, in der Galerie Kunstraum, Schiffbauergasse, eröffnet und kann bis zum 27. April mittwochs bis freitags von 14 bis 20 Uhr, samstags und sonntags von 12 bis 20 Uhr besichtigt werden. Der Eintritt ist frei.

Dirk Becker

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