Informel-Ausstellung: Zerrissen und bedroht
Die Potsdamer Villa Schöningen zeigt in der außergewöhnlichen Ausstellung „aus der zeit“ Bilder und Skulpturen der Nachkriegsmoderne. Der kalte Krieg, die Kuba-Krise und die Angst vor einem neuen Krieg: All das findet sich - abstrahiert - in den Werken wieder.
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Gerhard Hoehme hat einen „Berliner Brief“ gemalt. Zum Postversand ist er eher nicht geeignet mit seinen etwa vier Metern Länge und zwei Metern Höhe. „Das ist für mich eine gemalte Collage“, sagt Ina Grätz, Leiterin der Villa Schöningen. Der Maler hat reichlich Papiermaterial aufgebracht, bevor er es durch geschichtete Übermalungen zu einem Ganzen gefügt hat. „Esso“, „BP“ und „La Bockwurst“ auf der einen Seite korrespondieren mit dem „Brecht Ensemble“, „dem Internationalismus“ und dem „Metallurgie Kombinat“ auf der anderen Seite der beiden aneinandergefügten Tafeln. Die rechte Leinwand mit den östlichen Labels wirkt ein wenig spartanischer, die linke, westliche, bordet förmlich über vor Marken-Warenangeboten.
1966 entstand das Bild. Wenige Jahre zuvor war die Mauer in Berlin und entlang der innerdeutschen Grenze errichtet worden. Der kalte Krieg zwischen den beiden Siegermächten des Zweiten Weltkriegs verfestigte sich, immer neue Waffensysteme wurden geschaffen. Einige Male, wie bei der Kuba-Krise, stand die Welt kurz vor einem erneuten Krieg und einer möglichen atomaren Katastrophe. Der unversöhnliche Systemstreit der Supermächte USA und UDSSR schlug sich auch in der Kunst nieder.
Wie sensibel und vielschichtig die Künstler der Nachkriegsmoderne auf die Bedrohungssituation reagierten, zeigt die Ausstellung „aus der zeit“ mit Exponaten aus der Sammlung Ströher, die ab morgigen Samstag in der Villa Schöningen zu sehen ist. Etwa 2000 Arbeiten umfasst die Sammlung, erhebliche Teile davon sind im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zu sehen. „Die Bilder und Skulpturen werden auch häufig verliehen“, so Ina Grätz. Das verwundert nicht, schon die 36 Arbeiten von 34 Künstlern in der Villa Schöningen zeigen ausgesprochen Hochkarätiges. K.R.H. Sonderborg, Walter Stöhrer, Fred Thieler und Fritz Winter sind nur einige der klingenden Namen. Selten tauchen sie in Museumseventshows auf, haben aber in der Nachkriegsmoderne ihren herausragenden Platz.
Der 1890 geborene Karl Ströher begann Ende der 60er Jahre, eine Kunstsammlung aufzubauen. Der Darmstädter Wella-Konzern, den der Firmenerbe und sein Bruder leiteten, bot die finanzielle Basis. Der ehemalige Militärflieger und Bildhauer Joseph Beuys faszinierte den Unternehmer. Aber auch Malerei begeisterte ihn. Die Ausstellung zeigt, wie sich die spannungsreiche Epoche in den Werken der Maler und Bildhauer niederschlug.
„Nordisch“ lautet der Titel des Bildes von Bernard Schultze. In den wild auseinanderstrebenden Pinselschwüngen, in zerklüfteten Linien und chaotisch überlagerten Farbmustern den Nachklang zerrissener Zeitläufte zu vermuten, liegt nahe. Auch das in Rot und Schwarz auf die Leinwand geschrappte Gemälde von K.R.H. Sonderborg taugt nicht als Beispiel für ein harmonisches Nachkriegsidyll. Fußstapfen finden sich auf der Leinwand, wilde Farbwirbel brechen aus dem Zentrum heraus. Bilder, gemalt mit wildem Schwung aus der Kraft des vermuteten Unterbewussten, sollten entstehen. Tachismus, Informel wurden die Kunstrichtungen genannt. Sonderborg, Thieler, Schumacher, sie verabschiedeten sich vom Gegenstand und orientierten sich am „Action Paiting“ eines Jackson Pollock oder an der wilden Geste eines Georges Mathieu. Der Franzose malte vor 2000 Zuschauern in Paris 1956 in 20 Minuten das vier mal 12 Meter große Bild „Hommage aux poètes du monde entier“. Peter Brünings „Nr.35/63“ korrespondiert erkennbar mit Cy Twombly, auch wenn nicht bekannt ist, ob der Deutsche von seinem amerikanischen Kollegen wusste.
Die „Abstraktion als Weltsprache“, wie ein Ausstellungskatalog titelte, war erfunden. Bilder fanden ihre Struktur in Geste und Bewegung. Den ruhenden Gegenpol bildeten Maler wie Josef Albers, der eine „Hommage an das Quadrat“ beisteuert. Die gegenständliche Malerei fand von da an für lange Zeit nur in Randnotizen statt. An die Vorkriegsmoderne mit Kandinsky und Kirchner wollten Maler wie Ernst Wilhelm Nay oder Hann Trier anknüpfen, sie bis zur Abstraktion weiterentwickeln und dabei die propagandistische Figuration der Nazis weit hinter sich lassen. Die Kunst sollte sich nicht noch einmal in einer Weise vereinnahmen lassen, wie dies Malern jenseits des Eisernen Vorhangs unterstellt wurde. Die so festgeschriebene Position und das hartnäckige Insistieren auf der Genialität des aus unbekannten Bewusstseinstiefen heraufbeförderten Pinselschwungs war ihrerseits allerdings nicht weniger dogmatisch. Das schlug sich in entsprechender Ausstellungspolitik und in Debatten nieder. Dennoch entstanden Positionen, die auch heute noch für nachfolgende Künstler relevant sind. Brigitte Meier-Denninghoff zeigt eine 1949 entstandene „Bleifigur“, deren schrundige, abgebrochene Leisten wie übrig gebliebener Stacheldrahtverhau aus dem Schützengraben in den Raum ragen. Entsprechende Formen tauchen im Repertoire heutiger Künstler wieder auf, allerdings zum Popzitat gewandelt. Auch Informel und Tachismus erleben bei jüngeren Künstlern eine vorsichtige Renaissance, nachdem zehn Jahre lang Leipziger Gegenständlichkeit dominiert hat. Ein so hochwertiger, mit viel Sorgfalt zur Ausstellung komponierter Querschnitt durch die Nachkriegsmoderne wie in der Villa Schöningen ist selten zu sehen.
Villa Schöningen an der Glienicker Brücke, donnerstags und freitags, 11-18 Uhr, samstags und sonntags, 10-18 Uhr
Richard Rabensaat
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