Kultur: Ziegenrippe im Wunderland
Die weibliche Seite der Kunst: Sechs Frauen stellen in der Produzentengalerie M aus
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Das Pappgestell hat die Abmessungen eines Fernglases. Schaut man durch die zwei Linsen und nimmt den Fokus aus dem Blick raus, stößt man in 15 Zentimeter Entfernung auf ein dreidimensionales Bild. „Die Blumen müssen schweben“, sagt Sabine Drasen, die diese sogenannten Stereoskopien gebaut hat. „Es hat mich als Malerin schon immer fasziniert, wie Wahrnehmungstäuschung funktioniert“, sagt Drasen, eine der sechs Künstlerinnen, deren Arbeiten derzeit in der Produzentengalerie M zu sehen sind.
Drei von ihnen kommen aus der Region Bielefeld, drei aus Potsdam und Umgebung, die Ausstellung ist eine Gemeinschaftsaktion des Brandenburger und Bielefelder Bundesverbands Bildender Künstler. Dass Verbandsmitglieder in anderen Bundesländern und Potsdams Partnerstädten ausstellen, hat Tradition, sagt Daniela Dietsche vom Brandenburger Verband. Dieses Mal sind die Bielefelder auf die Potsdamer zugekommen, auch weil es hier immerhin noch eine verbandseigene Galerie gibt, sagt Dietsche. Die insgesamt 95 Quadratmeter in der Charlottenstraße nutzt der BVBK abwechselnd mit der Galerie Ruhnke. Viel Platz ist das nicht für eine Gemeinschaftsausstellung von sechs Künstlerinnen, von denen sich die meisten vorher nicht kannten und deren Arbeiten keinem gemeinsamen Thema zuzuordnen sind. Dass sich daraus ergebene Spannungsfeld hat es in sich: Neben wuchtigen Ölbildern hängen detailverliebte Feder- und Tuscharbeiten, in weiterer Nachbarschaft Collagen aus Metall und Papier, Objekte aus Tierknochen. Im Kellergewölbe klassische Aquarelle und eine Serie sehr spezieller Stoffarbeiten – und zu jeder Arbeit gibt es mindestens eine emotionale Geschichte der Künstlerin.
So verarbeitet Sabine Drasen auch in ihren großformatigen Ölgemälden die Themen Sinnestäuschung und Vielschichtigkeit, sagt sie Potsdamerin. Ein stark vergrößertes, verschwommenes Hintergrundbild wird überlagert von einem grafischen Element; ein anderes Mal hat sie kleinste Details festgehalten, wie ihre Sammlung von gestickten Wäschezeichen aus einem Kloster, aufgereiht wie getrocknete Käfer – allerdings grotesk vergrößert und dadurch fast unkenntlich gemacht.
Einen starken Kontrast dazu bilden Alexandra Sonntags feingliedrige, suchbildartige Zeichnungen. Hier finden sich märchenhafte und romantische Motive, öffnet sich die Welt von Alice im Wunderland inklusive Häschen. Sonntag malt aber auch moderne Szenen, jugendliche Gestalten, cartoonhaft abgebildet – ein Spannungsfeld aufbauend zu ihrer konservativen Zeichentechnik.
Petra Lehnardt-Olm findet ihre Inspiration weltweit – und manchmal auf dem Boden. Die Berlinerin hat ein Faible für Tierknochen. Daraus entstehen entweder Skulpturen oder die Gebeine werden in kleinformatige Zeichnungen eingebaut, die Knochen beispielsweise auf eine Leinwand mit Farbimpressionen von Landschaftsansichten aufgenäht. In ihren Installationen verwendet sie zumeist Fundstücke unterschiedlicher Herkunft. So hat sie Papierfetzen und Ziegenrippen von einer Feuerstelle in Spanien mit deutschem Kupferdraht kombiniert.
Metall spielt auch für Renate Kastner eine Rolle. Die Künstlerin aus Paderborn hatte eines Tages den Auspuff ihres Autos verloren. Der Anblick des sich in Schichten auflösenden Metallteils inspirierte sie zu der Arbeit „Epigonen“: Nachmacher. Sie formte acht verblüffend gleich aussehende Papiermodelle des Auspuffs und stellte sie dem echten „Individualisten“ zur Seite. Auch ihre Bilder sind alle Kombinationen von geschichtetem Metall und selbstgeschöpftem Papier.
Zwei sehr unterschiedliche Genres begegnen sich im Kellergewölbe. Zunächst hängen dort Aquarelle Brandenburger Landschaftsansichten der Potsdamer Künstlerin Bettina Hünecke. Im vergangen Herbst malte sie in Wittenberge an der Elbe und verliebte sich in den alten Uhrenturm des ehemaligen Nähmaschinenwerks. Entstanden ist eine Herbstansicht mit Turm und hinter Ufervegetation durchschimmerndem Flusslauf. Dazu kommen Kohlezeichnungen, Winterbilder, in denen der eisige Wind durch die Uckermark pfeift, und eine Frottage: Hünecke hat dünnes Papier auf einen alten Steinboden gelegt und die Oberfläche mit einem karminroten Farbtampon abgerieben – und dadurch bis in kleinste Konturen sichtbar gemacht.
Richtig verrückt sind die Arbeiten von Marie-Pascale Gräbener. Die Malerin und Illustratorin aus Bielefeld ist mit ihren „Les Püppis“ angereist. Drei der gut einen Meter großen Stoffkreaturen bilden den Zyklus „Das epigonale Malheur“: Eine Familie mit unverarbeiteter deutsch-französischer Kriegsvergangenheit, sagt Gräbener. Zum ersten Mal zeige sie eine sehr persönliche Arbeit, auch sie selbst habe deutsche und französische Wurzeln. Die extrem aufwändig und phantasievoll gestalteten Puppen sind gespickt mit einem symbolbehaftetem Sammelsurium, bemalt, beklebt, benäht, „mit allem, was sich so finden ließ“. Und hinter jedem stecke ein Gedanke. Den zu entdecken braucht es freilich etwas Zeit und Muße, wie für die Gesamtschau „Potsdam – Bielefeld“.
Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Februar in der Charlottenstraße 122 zu sehen
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