Kultur: Zu den Worten gefunden
Frido Mann, Enkel des großen Schriftstellers Thomas Mann, liest heute in Potsdam
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Zum fliegenden Supermann hat es Frido Mann, Lieblingsenkel von Thomas Mann, dann doch nicht gebracht – obwohl das sein Traum war, als Kind, als er in den 1940er Jahren im US-amerikanischen Exil aufwuchs. So zumindest erzählt er es in Interviews. Man könnte es sich fast so vorstellen: Die Last des Familienerbes war sein persönliches Kryptonit, das ihn am Boden hielt. Hoch hinaus wollte er trotzdem. Nach seinem Studium der Musikwissenschaft hat er in Theologie promoviert, sich dann in Psychologie habilitiert. Schließlich hat er sich doch noch in die Fußstapfen des Großvaters getraut und ist Schriftsteller geworden.
Am heutigen Samstagabend wird er beim compArte-Festival – einem studentisch organisierten Kunst- und Kulturfestival für die Begegnung zwischen Lateinamerika, Spanien und Deutschland – aus seinem Buch „An die Musik“ lesen. Der Abend steht unter dem Titel „Die Manns und die Musik – eine Weltmelodie“.
Die Begeisterung der Manns für die Musik, ja, die kennt man aus ihrem Werk. Sie zeigt sich im „Dr. Faustus“ von Thomas Mann oder in „Zwischen den Rassen“ seines Bruders Heinrich. Thomas Manns Sohn Michael hat sie zum Beruf gemacht und Frido Mann tat es dem Vater gleich. Aber die Manns und Lateinamerika? Mann am Strand? Undenkbar. Gedanklich pfercht man die bedeutende Schriftstellerfamilie hinter die barocke Fassade des Buddenbrookhauses, ins protestantische Lübeck.
Tatsächlich aber haben Thomas und Heinrich Mann brasilianische Wurzeln, ihre Mutter Julia stammte aus Paraty, einer Küstenstadt zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo, ihr Mädchenname war Julia da Silva-Bruhns. Das spielte eine nicht unbedeutende Rolle im Leben der beiden Literatensöhne: „Ihre künstlerische Neigung war immer mit der brasilianischen Herkunft verbunden“, sagt Paolo Astor Soethe, brasilianischer Germanistikprofessor und DAAD-Grimm-Preisträger, der über Thomas Mann promoviert hat. Gemeinsam mit Frido Mann und Karl Josef Kuschel hat er das Buch „Mutterland. Die Familie Mann und Brasilien“ geschrieben, aus dem er am Samstag auch vorlesen wird. „Thomas Mann hat erklärt, dass sein literarisch-künstlerisches Wesen entstanden sei aus einer Mischung aus der Frohnatur der Mutter und dem Arbeitsethos des Vaters.“ Als Kinder haben die beiden Brüder Thomas und Heinrich ihre Eltern mit den portugiesischen Ausdrücken mae und pae angeredet, Julia Mann hat ihnen portugiesische Lieder vorgesungen und Geschichten erzählt.
In der Öffentlichkeit sei sie stets unterschätzt worden: „Sie wurde als Exotin abgestempelt. Ihre Bedeutung als Mutter und auch als intelligente Frau hat man da sehr vernachlässigt“, sagt Soethe.
Dabei hätte auch sie einiges zu erzählen gehabt: Als sie sieben Jahre alt war, gab ihr Vater sie nach dem Tod der Mutter in ein Mädchenpensionat in Lübeck – er selbst ging zurück nach Brasilien. Mit strenger Hand zog man sie zu einer Dame der Gesellschaft heran, später heiratete sie in die Familie Mann ein. Und auch Julia Mann schrieb Erzählungen, sogar eine Autobiografie – „Aus Dodos Kindheit“. Nicht zuletzt, sagt Soethe, geht die Musikalität der Familie – die sich bis in die jüngste Generation der Manns hält – auf sie zurück: Sie spielte Klavier und hatte eine schöne Singstimme.
Für Frido Mann war es wichtig, die brasilianischen Ursprünge nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Seit 1994 – damals reiste er zum ersten Mal nach Brasilien – hat er sich bemüht, im Haus der Urgroßmutter ein euro-brasilianisches Kulturzentrum einzurichten, jedoch ohne Erfolg. „Es gibt einflussreiche Leute in Brasilien, die mittlerweile die Eigentümer des Hauses sind und das nicht wollen“, so Soethe.
Mann, das ist ein großer Name in Deutschland. Fast ehrfurchtgebietend. Der Kindheitstraum Supermann will da so gar nicht ins Bild passen. Schon gar nicht in Anbetracht der Tatsache, dass in der Forschung Vergleiche zu den Windsors in England und den Kennedys in den USA gezogen wurden. So wog die Erblast für Frido Mann am Anfang schwer: Als Kind konnte er sich nicht vorstellen, einmal Schriftsteller zu werden, obwohl sein Großvater in vielen Lebensbereichen wohl ein Vorbild – er sagt, fast ein Vaterersatz – gewesen ist. „Gerade deswegen. Mein Großvater ist ein großer Schatten. Nicht nur er, die ganze Familie“, so Frido Mann.
Vielleicht war er auch deshalb ständig auf der Suche, wollte sich auch beruflich nie festlegen, irgendwo ankommen. Seine Autobiografie nennt er „Achterbahn“. Und ja: Auf den ersten Blick wirkt sein Lebensweg sprunghaft, auf den zweiten irgendwie logisch. Von der Musik zur Religiosität, zur Psyche des Menschen und zur Literatur. In Interviews spricht Mann wiederholt von einer „Sinnsuche, einer Werteorientierung“. Vom Gefühl zur Sprache. Musik verweigert sich der expliziten Versprachlichung, sucht nicht nach Worten. War es die Angst vor dem Wort, die Frido Mann letztlich überwinden konnte? Er selbst denkt alle vier Disziplinen zusammen: „Sie sind alle miteinander verbunden. Wenn sie sich zusammentun, kann jede etwa von der anderen lernen.“ In seinem Vorwort zu „An die Musik“ sagt er, die Musik sei der nachhaltigste Impuls seiner Familie geblieben.
Auch deshalb soll der heutige Abend ein musikalischer Leseabend werden, begleitet von Claudia Peréz Iñesta am Violoncello.
Der musikalische Leseabend mit Frido Mann, Paolo Astor Soethe und Claudia Peréz Iñesta im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Kutschstall, Am Neuen Markt 9, findet am heutigen Samstag um 17 Uhr statt. Der Eintritt kostet 10 Euro, ermäßigt 6 Euro.
Theresa Dagge
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