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Kultur: Zu hohe Maßstäbe?

Markus Hilles „Lina“ zum Auftakt der neuen Ära am Hans Otto Theater

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Markus Hilles „Lina“ zum Auftakt der neuen Ära am Hans Otto Theater „Man hört läuten, sie dichte. Also so zum Zeitvertreib. Dramatisches. Philosophisches zuweilen ... eigentlich wildert sie in Männerdomänen. Sowas wirkt belastend.“ Dies lässt der Autor Markus Hille in seinem Stück „Lina – Es wird sie töten, du Ärmster“ den Juristen Karl von Savigny sagen. Gemeint ist Karoline von Günderrode (1780-1806). Dichterin, in einem evangelischen Damenstift im Kronstettischen seit dem 19. Lebensjahr lebend. Zu ihrer Zeit war das Schriftststellern, das Beschäftigen mit der Wissenschaft, offiziell den Männern vorbehalten. Aber die Günderrode schreibt und schreibt: Gedichte, Prosastücke, dramatische Versuche. Vielleicht hat man über sie ähnlich geurteilt wie über Annette von Droste-Hülshoff: „ ... ein entsetzlich gelehrtes Frauenzimmer.“ Der Münchener Germanist Markus Hille (geb. 1967), der in München und in Graz Dramaturgie lehrt, beschäftigt sich mit Karoline von Günderrode schon seit längerem. Bei der Arbeit über den Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling entdeckte Hille in einer Fußnote den Namen Günderrode. Es wurde deutlich, die Stiftsdame und Dichterin – ein philosophischer Geist – setzte sich mit der Naturphilosophie Schellings auseinander. Auch sie wollte nicht nur die Natur in ihrer eigenen Lebendigkeit und in ihrem Wert für den Menschen fassen, erfahren wollte sie, wie in ihr die schöpferische Kraft der Gottheit am Werke ist. Die Intensität des Leseerlebnisses und die Auseinandersetzung mit dem kurzen, ereignisarmen und von inneren Erschütterungen jedoch reichen Leben der Günderrode, finden bei Hille in seiner im Rowohlt Verlag veröffentlichten Biografie ihren Niederschlag. Und nun auch in dem Theaterstück „Lina – Es wird sie töten, du Ärmster“. Er hat es vor zwei Jahren im Drei Masken Verlag München zur Veröffentlichung gebracht. Der Potsdamer Dramaturg Hans Nadolny hat „Lina“ gelesen und es zur Uraufführung am Hans Otto Theater vorgeschlagen. Zum Auftakt seiner Intendanz inszeniert Uwe Eric Laufenberg das Stück Hilles selbst, im Schlosstheater im Neuen Palais. Markus Hille will in seinem poetisch dichten Stück nachprüfen, wie die Günderrode ihre Erkenntnisse gestaltet hat. Dafür lässt er fünf junge Menschen, die um 1800 lebten, die Bühne betreten, jeder mit eigenen Träumen und Liebeserwartungen. „O reiche Armut! Gebend, seliges Empfangen! / In zaghaft Mut! In Freiheit doch gefangen. / In Stummheit Sprache / Schüchtern bei Tage, / Siegend mit zaghaftem Bangen“, schreibt sie in ihrem Gedicht „Liebe“. Christa Wolf meint: „Eines der ersten vollkommen offenen Liebesgedichte einer Frau in der deutschen Literatur.“ Die übersensible, verletzliche Lina liebt den späteren preußischen Justizminister Karl von Savigny. Die Sehnsucht nach einer perfekten Liebesbeziehung stellt sich aber nicht ein. „Diese jungen Leute, deren Leben durch die Sachzwänge der Mächtigen beherrscht wurden, zogen sich in Gefühle zurück, um an ihnen zu scheitern“, so Hille. „Bis heute ist es der deutschen Gesellschaft nicht gelungen, den Genies des Herzens das Gefühl zu geben, dass sie sie dankbar braucht." Die Günderrode begeht mit 26 Jahren Selbstmord. Er hat aber nichts mit Affekt zu tun. „Die Erde ist mir Heimat nicht geworden“, schreibt sie. Ihr Leben hätte sie so gern nach absoluten Maßstäben eingerichtet. Klaus Büstrin

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