Kultur: Zu viel Grau
Hauswalds und Rathenows „Ost-Berlin“
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Hauswalds und Rathenows „Ost-Berlin“ Dort, wo das Grau am grauesten war, die Hausfassaden am morbidesten, die Menschen am einsamsten, da hat der Fotograf Harald Hauswald in Berlin-Ost einst seine Aufnahmen gemacht. Dissident Lutz Rathenow, welchem die Flucht aus der DDR noch heute als „würdigste Art“ des Herauskommens gilt, schrieb Texte dazu. Unter dem herausfordernden Titel „Ost-Berlin, die andere Seite der Stadt“ erschien dieser Foto-Textband erstmals 1987 in München – ein Affront gegen die DDR, gegen den Aufputz zur 750-Jahrfeier der Metropole. Es kam sofort auf den Index. Als „Ost-Berlin. Leben vor dem Mauerfall“ erlebt es jetzt eine Renaissance mit steigenden Auflagezahlen im In- und Ausland, so man Verlags-Chef Norbert Jaron glauben kann, bei dem dieses Opus als Neuauflage erscheint. Am Donnerstag wurde es zusammen mit umfangreichen Bild-Exzerpt auf dem Gelände der ehemaligen Truman-Villa, Sitz der Friedrich Naumann-Stiftung, in Anwesenheit beider Autoren vor zahlreichem Publikum präsentiert. Die 112 Schwarz-Weiß-Fotos, jeweils im Quartett gerahmt, hängen auf drei Etagen im Atrium des hypermodernen Neubaus. Ganz unten, vor dem Slogan „Bessere Bildung durch Freiheit und Wettbewerb“, las Lutz Rathenow einige Texte daraus und kommentierte sowohl Neuausgabe wie auch die alten Fotos auf seine Weise. Er fühlt sich dieser Stiftung seit langem verbunden. Schon Anfang 2004 beschirmte sie eine Lesung in der Potsdamer „arche“, wo auch die folgende Sentenz zu hören war: „Der rechte Glaube überdauert ein Zeitalter selten. Wenn doch, könnte es der richtige Glaube sein“. Rathenow erzählte, wie sehr sich innerhalb von 15 Jahren das Rezeptionsverhalten zu den Fotos geändert hätte. Einige belächelten sie heute, anderen erscheinen sie düster und unheimlich, dritte – weil „Ärmlichkeit ohne Armut“ erkennbar – verklärten sie gar als „soziale Utopie“. Eine Aufforderung zur „Entschlüsselung der Inszenierung“ folgte stante pede, ohne diese kryptische Sentenz näher zu decodieren. Es sind aber nur Bilder. Kinder hocken auf dem Rest einer zerbrochenen Häuserwand wie kurz nach dem Krieg, ein Engel auf dem Friedhof nahe der Mauer wird begutachtet, eine Rentnerin sitzt irgendwo in Berlin auf der Bank, dahinter preist eine leere Sichttafel „Unsere Besten“, am Alex zeigt ein Elefant der Kamera sein fülliges Hinterteil, aus einem Bauwagen schaut ein Pin-up-Bild „oben ohne“ hervor, und selbstbewusst präsentiert eine Gruppe von Jugendweihelingen sich und ihr Buch, welches den Marxismus-Leninismus allein als geistige Quelle des Fortschritts empfiehlt. Ein Foto teilt ganz lakonisch mit: „Wir reparieren alle Systeme“. Daran war bei Hauswald/Rathenow praktisch nicht zu denken: „Wir liebten Ost-Berlin und lehnten die Regierung ab“. Straßen, Plätze, Szenen diesseits der Mauer. Tristesse, Lethargie. Zufalls-Fotos, was auch Rathenow einräumt. Hatte man nun „den richtigen Glauben“? Sie könnten ja auch in Liverpool oder Hamburg entstanden sein. Grau ist überall, und alles in Grau ergibt auch eine Farbe, besser: Eine Tendenz. Natürlich lobt man das Buch weithin als „ganz, ganz wichtigen Ost-Seller“. Es werde in seiner englischsprachigen Version jenseits der Oder am besten verstanden. Ob es jedoch das „Leben vor dem Mauerfall“ angemessen spiegelt, bleibt ganz dem Betrachter belassen. Man sieht so wenig Sonne. Rathenow kommentierte die Momentaufnahmen retrospektiv, sprach vom „gesamtberliner Raum und westlichem Anbau“. Damals habe man sich einen „Erdrutsch“ gewünscht, damit ein Haus in die Freiheit gerate. Nach dem Mauerfall träumte er (oder die Figur eines Textes) vom subversiven „Tunnelbau“. Ein neuer Band mit Wirkungszeit ab 1990 ist in Arbeit. Es soll „ein Wohlfühlbuch“ werden. Alles Tendenz? Gerold Paul Bis 12. November, wochentags 17-19 Uhr, Wochenende 10 - 18 Uhr.
Gerold Paul
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