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Von Gabriele Zellmann: Zu welchem Ende schreibt man Filmgeschichte?

Günter Jordan brachte das Nachschlagewerk „Film in der DDR. Daten. Fakten. Strukturen“ heraus

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Wer von Filmgeschichte spricht, meint zumeist die Geschichte von Filmen und Filmemachern, von Regisseuren, Autoren und Schauspielern, nicht aber die Geschichte von Institutionen und Strukturen, die mit Film zu tun haben und Film erst ermöglichen. Um diese aber geht es in Günter Jordans Nachschlagewerk „Film in der DDR. Daten. Fakten. Strukturen“, das vom Filmmuseum Potsdam herausgegeben und dort am Dienstagabend präsentiert wurde.

Das Werk ist krönendes Ergebnis einer zehnjährigen Arbeit des Filmhistorikers und ehemaligen DEFA-Dokumentarfilmregisseurs. Günter Jordan führt darin akribisch recherchierte Daten und Fakten zusammen, benennt, vernetzt, setzt in Beziehung, fasst zusammen. Er bezieht dabei nicht nur alle Institutionen und Bereiche ein, die mit Film zu tun hatten – von den Studios über den Verleih und bis zu Betrieben, in denen man verschlissene Kopien wieder abwusch. Darüber hinaus zeigt die Arbeit den gesellschaftlichen Kontext der untergegangenen DDR. Über die SMAD, die Sowjetischen Militäradministration beispielsweise, ist darin ebenso zu erfahren wie über den Verband der Film- und Fernsehschaffenden oder die Fragen, wer in der DDR wann und wo Filmwissenschaft betrieb oder wie und woraus das Ministerium für Staatssicherheit erwuchs. So spiegelt dieses Kompendium auch ein Stück DDR-Geschichte.

Was für ein Schatz an Basiswissen auf den knapp 600 Seiten gebündelt ist, wird mit immer größerer Schärfe hervortreten, je mehr das Wissen über die untergegangene DDR im Erinnerungsnebel verschwimmt. Doch nicht erst, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, wird zu diesem Standardwerk greifen, wer sich für Film in der DDR interessiert, dazu forscht oder einfach etwas über DDR-Geschichte wissen möchte.

Mit der Buchpräsentation zu einem Gespräch anzuregen, war der Wunsch des Autors. So drehte sich die von Filmwissenschaftler Ralf Schenk moderierte Podiumsdiskussion um die frei nach Schiller assoziierte Frage „Wozu und zu welchem Ende schreibt man Filmgeschichte?“

Es war 2000, als Günter Jordan die umfangreiche Recherche begann. Notwendig wurde sie schon durch die vielen Fehler in Publikationen über DEFA-Filme, die auf fehlender Kenntnis von gesellschaftlichen Zusammenhängen und Strukturen beruhten, in denen in der DDR Filme entstanden und in denen mit Film gearbeitet wurde. Filmhistorikerkollegen bestärkten ihn in Gesprächen darin immer wieder. Besonders Wolfgang Klaue, damals Vorstand der noch nicht lange existierenden DEFA-Stiftung. Für Helmut Morsbach, der 2003 die Vorstandsarbeit übernahm, ist dieses Projekt heute eines der wichtigsten und gleichzeitig längsten der DEFA-Stiftung. Bereits seit 2008 ist eine Vorläuferversion als digitales Nachschlagewerk, das immer wieder Updates erfahren soll, auf der Webseite der DEFA-Stiftung nutzbar.

Danach befragt, ob er sich ein solches Standardwerk auch für westdeutschen Film wünsche, sagte Rainer Rother, künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek, dass ein solches Buch über die westdeutsche Filmgeschichte ein neues Verständnis für Filmgeschichte wecken könnte. Denn die bisher geschriebene Filmgeschichte geht fast ausschließlich von Seherfahrungen aus. Aufgrund der viel anarchischeren und kleinteiligeren Struktur – manche Firmen hätten nur für einen Film lang bestanden – sei es jedoch kaum zu erstellen. Schon jetzt aber würden sich Fragestellungen ändern, grundsätzlicher werden. Oftmals stehe nicht mehr der einzelne Film oder das Werk eines Regisseurs im Mittelpunkt.

„Jede Epoche muss ihre Filmgeschichte neu schreiben“, so Filmhistoriker und Journalist Claus Löser. „Wir wissen noch gar nicht, was Leute an der DEFA interessieren wird, wenn sich in zwanzig Jahren Erfahrungswerte und Lebenswirklichkeiten verändert haben werden.“

Entscheidend aber, da war man sich einig, sei für die Einordnung und Bewertung von Filmen stets auch die Kenntnis der Rahmenbedingungen, sonst ist es Meinungsmache, keine Filmgeschichte“, so Jordan. Mit seinem Buch wolle er nicht nur den vielen Kollegen, die mit ihm zusammen gearbeitet und ihn unterstützt hätten, etwas zurückgeben. Sondern auch die Aufmerksamkeit für Bereiche wecken, die sonst in der Filmgeschichtsschreibung der DDR selten diskutiert werden – das Lichtspielwesen etwa, oder auch die Finanzierung und Refinanzierung von Filmen in der DDR.

Auf seinen Wunsch hin lief im Anschluss an das Gespräch „Märkische Forschungen“ des DEFA-Regisseurs Roland Gräf aus dem Jahr 1982. Welcher Film hätte den Abend besser beschließen können als dieser, der die Geschichte eines enthusiastischen Forschers erzählt?

Gabriele Zellmann

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