Wer mit dem Kirchenjahreskreis lebt, dürfte seine Schwierigkeiten haben, mitten in der Epiphaniaszeit eine Passionsvertonung zu hören. Vielleicht trug dies dazu bei, dass in der Friedenskirche Sanssouci am Sonntagnachmittag viele Plätze leer blieben. Auch das Glatteis war für Kirchenmusikfreunde nicht gerade willkommen, sich auf den Weg in das Gotteshaus zu machen.
Zum zweiten Male lud der Oratorienchor Potsdam den Universitätschor Rostock zu einem Konzert in die brandenburgische Landeshauptstadt ein. Universitätsmusikdirektor Thomas Koenig wählte für den Gastauftritt Johann Sebastian Bachs „Johannes-Passion“.
Mag sein, dass man Bachs Emotionen gar nicht erst hochrufen muss. Aber man kann sich schon vorstellen, was heutige Medien aus einer Kreuzigung Christi gemacht hätten. Man denke nur an Mel Gibsons Film von 2004. Immerhin: Als Konstrukt war diese Johannes-Passion genau einstudiert; und ernsthaft vorgetragen. Der Universitätschor mit seinen gut 50 Mitgliedern sang die Geschichte von Jesu Leiden und Tod stets mit schlanker und transparenter Diktion. Doch wurde er von Thomas Koenig kaum angehalten, das ungeheuer Dramatische, das sich in den Szenen vor Pilatus und auf Golgatha abspielt, herauszuholen. Die Turbae-Chöre klangen zu eindimensional, gaben dem Geschehen zu wenig gestalterischen Zündstoff. Die hatten jedoch die Gesangssolisten parat. Der junge Tenor Tobias Hunger besticht vor allem als Evangelist. Seine klare und durchsetzungsfähige Stimme dominierte das Ensemble. Mit großer Textverständlichkeit und leidenschaftlicher Emphase gestaltete er seinen Part. Die Bässe Jonathan de la Paz Zaens und Daniel Blumenschein sangen wohl timbriert und hochkultiviert, das Geschehen angemessen ausdrückend. De la Paz Zaens (Christusworte) dem nahenden Tod in ruhiger Selbstgewissheit entgegen gehend und Blumenschein offen reflektierend, welchen Sinn das alles macht, unruhig fragend und ruhig darauf antwortend. Klar und mühelos sang die Sopranistin Astrid Kessler, wunderbar offen und frei von jeder Sentimentalität; in diesem Singen mehr Trost als Trauer ausdrückend. Diese Offenheit war auch bei dem belgischen Altus Patrick van Gothem zu hören, besonders die Arie „Es ist vollbracht“ sang er mit herzerwärmender Schlichtheit.
Die Choräle auch in der Johannes-Passion gehören zu den schönsten musikalischen Eingebungen Bachs. Bei ihrer Wiedergabe durch den Universitätschor war deutlich zu vernehmen, dass Koenig gern mit der historischen Aufführungspraxis arbeitet. Doch sie wurde nicht konsequent bis zum Schluss durchgehalten. Glücklicherweise. Wollte der Dirigent die Choräle durch ein fast staccatoartiges Singen aufrauen, so stimmte er sie im letzten Drittel des zweiten Teils sensibler auf die Stationen der Passionsgeschichte ab. Es wurde mehr auf Linie gesungen. Und dies machte bedeutend mehr Eindruck.
Die affektgeladene und lautmalerisch musikalische Sprache des Thomaskantors kommt durch die Spielweise eines Barockorchesters besonders gut zum Ausdruck. Thomas Koenig konnte das Göttinger Barockorchester, in dem Mitglieder bekannter Ensembles mitwirken, gewinnen. Kultiviert, engagiert und wach war ihr Spiel, nie glatt und oberflächlich. Am Schluss gab es herzlichen Beifall für die „erste „Johannes-Passion“ dieses Jahres in Potsdam. Drei werden in der Passionszeit folgen. Klaus Büstrin
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