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Kultur: „Zuhörer lassen sich nicht täuschen“
Alexander Hollensteiner ist neuer Geschäftsführer der Kammerakademie. Ein Gespräch über erste Konzerte, Festspielerfahrungen und Erfahrungen mit dem Publikum
Stand:
Herr Hollensteiner, wie haben Sie zur klassischen Musik gefunden?
Über mein Elternhaus. Aber nicht, weil meine Eltern ein Musikinstrument gespielt haben, sondern weil sie regelmäßig klassische Konzerte besuchten.
Da mussten oder durften Sie mit?
Im Grunde hieß es alle paar Wochen: Kinder, heute Abend kommt der Nachbar zum Babysitten und wir gehen ins Konzert. Und als der Babysitter mal nicht konnte, bin ich einfach mitgegangen.
Und wie haben Sie Ihre ersten Konzerte erlebt?
Mit elf Jahren habe ich Humperdincks „Hänsel und Gretel“ gesehen. Das war also nicht einfach nur Konzert, sondern gleich Oper. Etwas später habe ich dann „Le sacre du printemps“ von Strawinsky gehört und habe gedacht: Wahnsinn, das verstehe ich gar nicht, aber das ist ja total interessant! Es war also ein Moment der kompletten Überforderung, gleichzeitig verbunden mit einer extremen Neugier.
Es gibt viele Menschen, die Konzerte mit klassischer Musik meiden, weil sie beim Hören nur diesen Moment der Überforderung kennen. Als neuer Geschäftsführer der Kammerakademie besteht ihre Aufgabe auch darin, neues Publikum zu gewinnen. Wie begegnen Sie dieser Überforderung?
Für mich ist das eine wunderbare Herausforderung: Klassische Musik ist nun mal komplex, deswegen werde ich nicht anfangen, sie einfach zu machen. Was ich aber machen kann, ist die imaginäre Schwelle wegzuhobeln.
In welcher Form?
Da gibt es so viele Möglichkeiten: andere Spielorte, neue Konzertformate und Einführungsgespräche, um nur einige zu nennen. Dabei geht es nicht nur um neues, sondern auch um das bereits vorhandene Publikum, das sich jedes Mal aufs Neue interessieren soll.
Spielen Sie ein Instrument?
Ja, angefangen habe ich mit der Blockflöte, dann ging es weiter mit der Querflöte und dem Klavier. Noch heute versuche ich regelmäßig Klavier zu spielen, um einfach den praktischen Bezug zu behalten. Das bewusste Hören macht schon sehr viel aus, aber die Schönheit und Komplexität der Klassik erschließt man sich noch viel mehr durch das Machen.
Hatten Sie dann nicht irgendwann einmal den Wunsch, selbst Musiker zu werden?
Nein, mir war aber schon sehr früh klar, dass ich etwas mit Musik machen wollte.
Es hat Sie also von Anfang an hinter die Kulissen gezogen?
Ich habe Musikwissenschaften studiert und war auch journalistisch tätig. Aber als ich dann bei einem Praktikum bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern mit dem organisatorisch-planerischen Aspekt zu tun hatte, wusste ich: Das ist es.
Was gab den Ausschlag für dieses „Das ist es“?
Bei den Festspielen konnte ich alles wie unter einem Brennglas erleben: von der Planung über die Finanzierung und Sponsorensuche, dazu die Gespräche mit Spielstättenbesitzern und die technischen Herausforderungen. Nicht selten haben wir an Orten gespielt, wo vorher noch nie ein Konzert stattgefunden hatte, wo es kein entsprechendes Starkstromkabel gab, keine Toiletten, keine Bühne und auch keine Stühle. Im Grunde haben wir dort an fast jedem Abend aus dem Nichts ein Konzert auf die Beine gestellt. Das hatte für mich nie etwas Heilig-Erhabenes, sondern war immer ganz bodenständig. Fünf Jahre lang habe ich die Programme geplant, für ein Festival, das über 90 Prozent privat finanziert ist. Dabei muss man sich sehr genau fragen, wo ein Konzert stattfinden soll, welches Publikum man ansprechen möchte und welche Künstler dafür zu gewinnen sind. All das in einem Landstrich, der sehr dünn besiedelt ist. Gerade deshalb ist man immer ganz nah dran.
Am Publikum?
Ja, ich stand auf der Bühne und habe das Publikum begrüßt. Dabei merkt man sofort, wenn etwas nicht stimmt. Die Zuhörer lassen sich nicht täuschen, sie sind sensibel, intelligent und haben ein sehr gutes Bauchgefühl, ob etwas funktioniert oder nicht. Sie sagen sofort, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Durch diesen direkten Kontakt habe ich sehr viel gelernt.
Wenn Sie sich so wohlgefühlt haben bei den Musikfestspielen Mecklenburg-Vorpommern, warum haben Sie sich dann für den Wechsel nach Potsdam zur Kammerakademie entschieden?
Ich kenne die Kammerakademie von Aufnahmen und Konzerten schon länger. Und ich habe immer wieder versucht, sie auch für die Festspiele zu gewinnen. So hatten wir die Idee, eine Oper in dem schönen kleinen Theater in Putbus auf Rügen zu machen, haben das aber leider nie umsetzen können.
Und was reizt Sie an der Zusammenarbeit mit der Kammerakademie?
Zweierlei: Zum einen handelt es sich bei der Kammerakademie um ein städtisches Orchester, das einen klaren Kulturauftrag hat. Zum anderen ist es ein Kammerorchester in privater Trägerschaft, deren Musiker nicht fest angestellt sind. Dadurch haben wir eine unglaubliche Flexibilität, die ich so vor allem von Festspielen kenne. Wir können thematisch konzentriert arbeiten, Formate entwickeln, neue Dinge ausprobieren. Das gibt unsere Struktur nicht nur her, das wünscht sie sogar. Ich finde es hochinteressant, das Festspieldenken zu übertragen auf eine Institution wie die Kammerakademie.
Wer die Entwicklung der Kammerakademie beobachtet hat, muss zugeben, dass sich das Orchester unter Antonello Manacorda derzeit auf einem Höhepunkt befindet. Zahlreiche Konzerte in Deutschland und im Ausland, die hochgelobten Aufnahmen der Schubert-Sinfonien und am Anfang des Jahres der Kraftakt, alle neun Sinfonien von Beethoven in nur vier Tagen aufzuführen. Schüchtert Sie das nicht auch ein wenig ein?
Nein, aber ich habe großen Respekt vor dem Geleisteten.
Was zeichnet die Kammerakademie Ihrer Meinung nach aus?
Die Kammerakademie hat ein ganz eigenes Klangideal, die Musiker sind in der barocken Tradition verwurzelt, musizieren aber gleichermaßen sehr zeitgemäß. Das kenne ich von anderen Kammerorchestern in dieser Deutlichkeit nicht.
Was werden Sie als neuer Geschäftsführer anders machen?
Ich trete nicht an, um hier alles von den Füßen auf den Kopf zu stellen. Dafür läuft es viel zu gut. Ich werde die kommende Saison erst einmal nutzen, um das Orchester und die Stadt genauer kennenzulernen. In der Saison 2015/16 werden wir mit Sicherheit aber auch neue Akzente setzen.
In welcher Form?
Wir werden natürlich weiterhin mit früheren künstlerischen Leitern wie Sergio Azzolini und Michael Sanderling Konzerte machen, beide waren ja sehr prägend für das Orchester. Auch mit unseren musikalischen Freunden wie Albrecht Mayer und Emmanuel Pahud werden wir weiterhin zusammenarbeiten. Darüber hinaus möchte ich neue Künstler vorstellen und so die musikalische Familie der Kammerakademie Schritt für Schritt vergrößern.
Das Gespräch führte Dirk Becker
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