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Kentaurinnen und andere Kämpferinnen: Die Skulpturen von Karol Broniatowski.

© Manfred Thomas

Karol Broniatowski im KunstHaus: Zum Greifen schön

Jede seiner Figuren kämpft mit ihren Mitteln, manchmal ist es der Hintern: Karol Broniatowskis „Kentaurinnen“-Skulpturen sind noch bis Mitte März im KunstHaus zu sehen.

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Ihre Stärke ist eine bauchabwärts. Karol Broniatowskis Bronze-Skulpturen – allesamt Frauen – stehen auf kräftigen Schenkeln, Schenkeln, die sie erden und tragen. Doch den Kopf haben sie oft so zart und fragend nach oben gerichtet, als wüssten sie nichts von ihrer eigenen Kraft.

Vielleicht liegt es daran, dass sie nicht die Hauptfiguren in Broniatowskis Ausstellung im KunstHaus sind. Das sind die Kentaurinnen, entlehnt bei den Mischwesen der griechischen Mythologie, halb Pferd, halb Frau. Wie die „Stehenden“, wie alle menschlichen Abbilder bei Broniatowski, sind sie gesichtslos, anonym. Kleine, glattgespachtelte Dreiecke sind das, inmitten ihrer von Broniatowskis Fingern aufgewühlten Leiber. Trotzdem haben sie eine Haltung, ein Wesen. Anders als die „Stehenden“, die zuzuhören scheinen, haben die Kenraurinnen den Kopf stolz in den Nacken geworfen. Leicht skeptisch wirken sie und sehr selbstbewusst. „Ihr könnt mich mal“, sagt ihre Kopfhaltung und tatsächlich haben sie „einen richtigen Arsch“, wie Renate Grisebach, die Vorsitzende des KunstHaus e.V. sagt. Liebevoll tätschelt sie einer der kleineren Kentaurinnen dabei auf denselben.

Denn so hat Broniatowski sie gebaut: im besten Sinne plastisch. Überall zeichnen sich seine Fingerkuppen ab, die schiere Masse seiner Frauengestalten macht Lust, sie nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Händen zu begreifen.

Das passt in zweierlei Hinsicht. Die Kentauren, halb Pferd, halb Mensch – bei den alten Griechen freilich nur Männer – galten als unbeherrschtes, lüsternes Volk. Sinnlich also, wenn auch auf eine brutale Art. Zugleich passen die Kentaurinnen damit aber auch in das Gesamtwerk Broniatowskis, das schon früh mit dem Konzept der „sozialen Plastik“ korrespondierte, wie die polnische Kunsthistorikerin Anda Rottenberg schreibt. Den Begriff erfand Joseph Beuys, um damit seine Idee einer gesellschaftsverändernden Kunst zu erklären. Anders als im herkömmlichen, engeren Kunstbegriff kann nach Beuys Vorstellung all das menschliche Handeln Kunst sein, das die Gesellschaft formt, alle kreativen Akte, die zum Wohl der Gemeinschaft beitragen. Nicht nur Farbe, Ton, Bronze und Marmor also können zu Kunstwerken gestaltet werden, sondern auch das Leben selbst, etwa Politik und Wirtschaft.

Darum geht es in Broniatowskis aktueller Ausstellung nicht, Anleihen daran finden sich eher in seinen frühen Werken aus den 1970er-Jahren. Damals formte er Stapel aus Zeitungen, Portraits aus Sand oder klopfte Kunstwerke als Morsealphabet. Ein Versuch, den Skulpturen das Schwere, Immobile zu nehmen – besonders deutlich wurde das bei seinen Arbeiten aus mit rasend flüchtiger Information bedrucktem Zeitungspapier. 1972 durfte er den polnischen Pavillon auf der Biennale von Venedig bespielen.

Immer wieder aber gestalteten seine Plastiken auch den öffentlichen Raum mit – am eindrücklichsten wohl am Bahnhof Grunewald: 1991 gewann Broniatowski den Wettbewerb für das „Mahnmal für die deportierten Juden Berlins“, die von eben dort von den Nazis verschleppt wurden. Und wie ein Negativ seiner sonst so greifbaren Arbeiten wirkt das Mahnmal. Den Verlust macht er plastisch, indem er die Hohlformen menschlicher Figuren in die 20 Meter lange Betonwand schlägt. Im Kunst Haus zeigt ein kleiner Film, wie Touristen sich davor fotografieren, die Birken hinter dem Betonblock werfen flirrende Schatten auf die Szenen und machen den Ort lebendig und pietätvoll zugleich.

Nach Berlin war der 1945 im polnischen Lodz geborene Künstler 1976 über einen Gastaufenthalt des Berliner Künstlerprogramms DAAD gekommen. Und er blieb. Heute arbeitet er in einem Atelier am Bundesplatz, in den 1980er-Jahren allerdings hatte er seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt im Schlosspark Glienicke. Sechs Jahre lang wohnte er dort mit seiner Familie. Ob ihn die goldenen Löwen und Greife, die den Park zieren, zu seinen vergoldeten Kentaurinnen inspiriert haben? Ganz ausschließen will Renate Grisebach das nicht.

Klar ist aber: Broniatowski hat mit seinen Variationen der schreitenden menschlichen Figur große Vorbilder. Auguste Rodin etwa, aber auch Yves Klein. Der ist vor allem für seine monochrom blauen Bilder bekannt. Und auch Broniatowski nutzt gelegentlich Farbe – ein kräftiges helles Rot –, um Negativformen seiner Plastiken auf Papier zu klatschen.

Doch das verführerisch frische Rot dieser Frauen kann sich im KunstHaus nicht durchsetzen gegen die Wucht seiner dunkel schimmernden Bronzefiguren. Die größte von ihnen ist „Gaia“. Sie scheint auf einer Wippe zu stehen, mit ihrem wuchtigen Hintern balanciert sie sich aus. Trotzdem geht keine Ruhe aus von ihr, stärker noch als die anderen Frauenfiguren scheint sie im Kampf mit sich, gespannt ist jede Windung ihres Körpers. Die Arme hat sie über dem gesenkten Kopf verschränkt wie zum Schutz. Schwach wirkt sie trotzdem nicht, eher wütend. Keine Sekunde, aus keiner Perspektive muss man fürchten, dass sie kippt.

Noch überraschender ist der Akt, der zunächst wie das Negativ eines Aktes wirkt. Statt nackt und entblößt scheint sich dieser Körper unter einem schwarzen Tuch zu winden. Geht man dann aber ein paar Schritte um ihn herum, offenbart er seine Schönheit: Die Brust herausgedrückt, den Kopf auf die linke Schulter zurückgeworfen, das rechte Knie leicht angezogen. Vielleicht erklärt sich dieses Spiel mit zart und hart am schnellsten an seiner Arbeit von 1986, „two sides“, die im Hof des KunstHaus steht: ein Kopf mit zwei Gesichtern, eines lächelt bescheiden, das andere ist zu einer strengen Maske verzogen. Jede seiner Figuren kämpft mit ihren Mitteln.

„Kentaurinnen“ im KunstHaus, Ulanenweg 6, sind noch bis zum 16. März zu sehen. Mi. 11 bis 18 Uhr, Do. und Fr. 15 bis 18 Uhr, Sa. und So. von 12 bis 17 Uhr

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