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Kultur: Zuneigung für zwei Städte

Staatsorchester spielte im Nikolaisaal die Istanbul-Sinfonie von Fazil Say

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London und Istanbul sind gewaltige Stadtuniversen, in denen man Geschichte auf Schritt und Tritt begegnet. Sie zu erkunden, bedeutet Arbeit und Genuss. Die Komponisten Ralph Vaughan Williams und Fazil Say sind mit diesen Städten vertraut und haben ihre Atmosphäre und Klänge verinnerlicht. Sie begegnen ihnen mit Zuneigung, aber auch, wie bei Fazil Say, mit kritischer Zuwendung. Es entstanden musikalische Liebeserklärungen. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) hat am Samstag im 7. Sinfoniekonzert des Nikolaisaals unter der Leitung von Howard Griffiths die 2. Sinfonie, die London Symphony, von Ralph Vaughan Williams sowie die Istanbul-Sinfonie von Fazil Say zur Aufführung gebracht – zwei von Umfang, Besetzung und Klangreichtum monumentale Werke.

Nach dem Schlusston der London Symphony stellte man sich die Frage, warum diese wunderbare Musik aus den Jahren 1912/13 in Deutschland so unbekannt ist. In Potsdam wurde sie wohl noch nie musiziert. In dieser Hommage, in der Volksliedhaftes neben „hoher Kunst“, ähnlich wie bei Gustav Mahler, steht, illustrierte Vaughan Williams die Stadt nicht, sondern verwandelte eher ihre Atmosphäre in Klang. Es entstand eine mitunter leicht sentimentale Musik von spätromantischer Einfärbung. Doch musikalisch ist sie von zwingender Einheitlichkeit und differenzierter Klanglichkeit. So hörte man sie auch in der Interpretation des Staatsorchesters. Bei ihm hat sie lebensvolle Prägnanz und intensiven Ausdruck, Howard Griffiths klares Dirigat lässt auch Unruhe mitschwingen, die der Musik zuweilen anhaftet.

So mancher Konzertbesucher war vermutlich wegen der Istanbul-Sinfonie des türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say gekommen. Das 2010 von Howard Griffiths uraufgeführte Werk tendiert leicht zur Crossover-Musik. Der Dirigent hört zwar diese Bezeichnung für die Komposition nicht gern, doch bezeichnete er sie in einem Interview als eine „stilistische Begegnung“. Und nichts anderes will Crossover-Musik sein. Fazil Say geht in den sieben Sätzen mit dem Zuhörer durch die stolze und quirlige Stadt spazieren, die sich als Brücke zwischen Orient und Okzident versteht. Da hört man das Rauschen des Meeres, die Sirene einer Fähre, religiöse Gesänge, da schaut man hinauf zur majestätischen Kuppel der Blauen Moschee. Bildhaft und gefühlsstark ist diese opulente Musik. Bereichert wird sie durch traditionelle orientalische Instrumente wie Längsrohrflöte, Zither und Schlagwerk. Doch auch Politisches lässt Say nicht aus, so im zweiten Satz: Negatives des Islam wird unmissverständlich durch den aggressiven Rhythmus kritisiert. Fazil Say bekam daraufhin Schwierigkeiten mit dem Erdogan-Regime. Und so war die Aufführung seiner Istanbul-Sinfonie im Nikolaisaal auch von solidarischer und politischer Bedeutung. Howard Griffiths, die aus der Türkei stammenden Solisten Burcu Karadag, Serkan Halili, Tansu Karpinar sowie das Staatsorchester haben sich mit Leidenschaft der fantasievollen, doch auch manchmal plakativen Sinfonie angenommen. Die verschiedenen Klangspektren und Effekte wurden mit ungebremster Freude an der Musik gespielt und tonschön wiedergegeben. Es gab begeisterten Beifall. Klaus Büstrin

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