Kultur: Zurück am Ort des Schreckens
Grit Poppe liest aus „Abgehauen“
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Mit ihrem Jugendroman „Abgehauen“ ist Grit Poppe in den geschlossenen Jugendwerkhof, an den Ort des Schreckens zurückgekehrt. Nach der Geschichte von Anja, die sie in „Weggesperrt“ erzählt hat, ist es nun die Flucht von Gonzo, die in „Abgehauen“ mitzuerleben ist. Ein Roman, der schonungslos eine der dunklen Seiten in der DDR ans Licht holt, der zeigt, wie brutal und menschenverachtend mit Kindern und Jugendlichen, die sich nicht anpassen wollten, in diesem Staat umgegangen wurde.
Am Donnerstag, dem 22. August, um 19.30 Uhr liest die Potsdamer Autorin in der Buchhandlung Viktoriagarten aus ihrem 2012 erschienenen Roman. In „Abgehauen“ steht neben den schlimmen Bedingungen im Jugendwerkhof vor allem ein Fluchtversuch aus der DDR im Zentrum der Geschichte.
Weil die DDR im Geschichtsunterricht ihrer beiden eigenen Kinder kaum vorkam, hat sich Grit Poppe in das Thema von sogenannten schwer erziehbaren Kindern in der DDR und den Umgang mit ihnen eingearbeitet. Was sich ihr offenbarte, war ein flächendeckendes System von Heimen, in denen diese Problemfallkinder zum guten sozialistischen Bürger erzogen werden sollten. Neben zahlreichen Übergangs- und Schwererziehbarenheimen gab es in der DDR insgesamt 32 offene Jugendwerkhöfe. Wer hier immer noch Widerstand leistete, der kam nach Torgau, in den einzigen geschlossenen Jugendwerkhof. Grit Poppe hat einem Teil der über 4000 Jugendlichen, die zwischen 1964 und 1989 in Torgau eingesperrt waren, eine Stimme gegeben, um über ihre Erfahrungen, ihre Traumata reden zu können.
Die Autorin unternahm in den vergangenen Jahren viele Lesereisen. Mit dabei fast immer Zeitzeugen, die von ihren Erfahrungen in Torgau berichteten. Auch im Anschluss an die jetzige Autorenlesung im Viktoriagarten wird es ein Zeitzeugengespräch geben.
Grit Poppe, die anfangs nur einen Jugendroman schreiben wollte, ist in dieser Zeit so etwas wie eine inoffizielle Anlaufstelle für ehemalige Torgau-Häftlinge geworden. Häftlinge, weil Torgau kein Heim mehr, sondern ein Gefängnis für Kinder und Jugendliche war. Sie spricht mit den Betroffenen, schreibt ihnen, hört ihnen am Telefon zu. Und es sind fast immer ähnliche Geschichten, die sie hören muss. Dass da nach der Lektüre ihres Romans bei den Betroffenen nach Jahrzehnten plötzlich etwas aufbricht, eine Sprache und Geschichte bekommt, das so lange notdürftig verkapselt im Inneren der Betroffenen existierte. Für die meisten ist die Rückkehr dieser Erinnerungen so heftig, dass es sie Tage aus dem Alltag reißt. Regelmäßig trifft sich Grit Poppe mit den Ehemaligen, wie sie sich selbst nennen, und besucht mit ihnen den ehemaligen Jugendwerkhof in Torgau, der zur Gedenkstätte geworden ist. Manche können dann doch nicht durch die Tür treten, manche halten es nur wenige Minuten dort aus. PNN
Lesung aus „Weggesperrt“ am Donnerstag, dem 22. August, um 19.30 Uhr in der Buchhandlung „Viktoriagarten“, Geschwister-Scholl-Straße 10. Im Anschluss an die Lesung gibt es ein Zeitzeugengespräch
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