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Kultur: Zwangsfreies Experimentieren

Die fabrik gab eine Dokumentation über ihr Residence-Programm heraus / Am 15. August lädt sie ins Offene Studio

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Ihre großen Gesten revolutionierten in den 30er Jahren den Tanz. Heute wirken sie fremd und posenhaft. Dennoch versucht der 27-jährige Choreograf Fabian Barba aus Ecuador den expressionistischen Ausdruckstanz von Mary Wigman zu rekonstruieren. Neben alten Fotos und Texten steht ihm dabei die 65-jährige Susanne Linke, die als junge Frau an der Wigman-Schule studierte, zur Seite. Ihre bis heute straffe stolze Körperspannung hat nichts mit der Lockerheit zu tun, die Fabian Barba in seiner Tanzausbildung vermittelt bekam. Doch gerade diese Konfrontation mit dem Ungewohnten ist es, die den jungen Mann herausfordert. Während seiner Residenz in der Potsdamer fabrik kann er sich in aller Ruhe in die Seele eines vergangenen Tanzes hineinfühlen: „Neuland“ betreten, das zu den Wurzeln führt.

Fabian Barba gehört zu rund 20 Künstlern, die derzeit in der Schiffbauergasse residieren. Während viele Potsdamer über die Architektur stöhnen, löst sie bei den Gästen aus Korea, Portugal, Spanien, Belgien und eben aus Ecuador wahre Begeisterung aus, auch wenn der Biergarten, einer der lauschigsten Plätze Potsdams, in diesem Sommer geschlossen bleibt, weil die fabrik keine Erlaubnis zum Bewirtschaften erhält. „Unsere Gäste können es gar nicht fassen, dass sie in einer so schönen Umgebung arbeiten dürfen. Das Studiohaus steht Tag und Nacht für sie offen“, sagt Ulrike Melzwig, die seit 2006 die Residenzen betreut. Die jungen Choreografen können sich am Standort mit Fragen auseinandersetzen, ohne schnell eine Antwort finden zu müssen. Sie wohnen mietfrei, bekommen ein Stipendium zwischen 1200 und 1500 Euro monatlich und auf Wunsch wird ihnen auch ein Mentor zur Seite gestellt. Möglich sind diese idealen Bedingungen durch den von der Kulturstiftung des Bundes aufgelegten Tanzplan Deutschland und der Artist-in-Residence, einem internationalen Stipendiatenprogramm, für das sich Choreografen aus aller Welt bewerben können. Pünktlich zur Halbzeit brachte die fabrik eine Dokumentation heraus, die in Wort und Bild eindrücklich zusammenfasst, was sich zwischen 2006 und 2008 unter ihrem Dach ereignete. Noch bis 2010 hat das Potsdamer Tanzzentrum Planungssicherheit und bekommt ein Jahresbudget von 280 000 Euro, finanziert zur Hälfte vom Bund sowie von Stadt und Land. Wie in einem Interview mit Johanna Wanka in der Broschüre nachzulesen ist, plädiert die Kulturministerin dafür, auszuwerten, in welchem Maße sich das Projekt auch nach Auslaufen der Bundesförderung längerfristig etablieren lässt.

Was in aller Stille hinter den Studiotüren passiert, sei in der Öffentlichkeit indes schwer vermittelbar, so Ulrike Melzwig, die an der Fachhochschule Potsdam Kulturarbeit studierte und als Produktionsleiterin bereits mit international tourenden Choreografen zusammenarbeitete. Sie kennt die Lage der zeitgenössischen Tänzer und ihr Bedürfnis, nicht ständig einem über ganz Europa verstreuten Etat hinterher reisen zu müssen.

Um die Möglichkeit des konzentrierten Rückzugs in der fabrik bewerben sich jährlich Hunderte von Gruppen aus aller Welt. Gerade ist Ulrike Melzwig mit einer fünfköpfigen Jury dabei, die nächsten 150 Anwärter zu sichten, um zehn davon für die kommende Residenz auszuwählen.

Auch für die „Herbstleuchten“, der Werkschau der Potsdamer Residenzen im Oktober, sucht sie bereits nach geeigneten Stücken. „Natürlich ist die Besucherresonanz nicht vergleichbar mit der bei den Potsdamer Tanztagen mit international bekannten Companien.“ Spannend seien die experimentellen Formate der unbekannten jungen Residenzler dennoch allemal. „Viele Besucher haben Angst, dass sie nichts verstehen.“ Die will Ulrike Melzwig abbauen helfen: durch zugängliche, humorvolle und ungewöhnliche Stücke. „Aber es ist natürlich immer subjektiv, was man spannend findet. Leider gibt es nicht so viele Choreografien, die es schaffen, den Besucher auf verschiedenen Ebenen zu packen.“

Um auch die kommende Zuschauergeneration für neue Tanzsprachen zu öffnen, gibt es ab Oktober ein Projekt, das sich an 14- bis 19-jährige Potsdamer richtet. Zur Musik von Madonna sollen sie das Innere ihrer Körper erforschen und dazu eigene Bewegungen finden. Angeleitet werden sie von den Franzosen Frédéric Gies und Odile Seitz, die bereits öfter in der fabrik residierten. In der Dokumentation schwärmen sie von dem Standort am Wasser, der ideal sei, um die nötige Konzentration zu bekommen.

Aus dieser Konzentration lassen sich am 15. August um 18 Uhr die jetzigen Stipendiaten für ein paar Stunden herausreißen, wenn sie zum Offenen Studio einladen. Wie Simona Ferrar, die sich mit der Frage beschäftigt, ob es eine Ähnlichkeit in der Körpersprache von Familienmitgliedern gibt. Auch sie greift dabei wie Wigman-„Forscher“ Fabian Barba auf alte Fotos zurück.Heidi Jäger

Die Dokumentation wird kostenfrei zugeschickt. Anfragen unter: residenzen@fabrikpotsdam.de

Heidi JägerD

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