Kultur: Zweite Runde
Der „Literarische Salon“ in der Reithalle
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Es blieb zum Glück nur ein Scherz. Eine gewisse Form von Galgenhumor, die am Sonntagabend in der Reithalle kurz zu erleben war. Der „Literarische Salon“ ging nach seinem erfolgreichen Debüt im April in die zweite Runde. Vier Bücher und vier Gäste auf dem Podium war das bewährte Prinzip. Doch im Gegensatz zur ersten Veranstaltung hielt sich an diesem Abend die Besucherzahl in überschaubaren Grenzen, so dass in kleiner Runde darüber nachgedacht wurde, das Ganze einfach auf einen anderen Termin zu verschieben. Doch zum Glück war dies nur ein Scherz und die knapp 20 Gäste erlebten ein anspruchsvolles und trotzdem unterhaltsames, mal kontroverses, dann wieder begeisternd einstimmiges Vierergespräch über Literatur.
Moderator Oliver Geldener von Potsdam TV hatte als Stammgast den Potsdamer Buchhändler Carsten Wist und dazu Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg (Die Linke) und die Moderatorin und Autorin Tatjana Meissner eingeladen. Zur Diskussion standen die Romane „Freiheit“ von Jonathan Franzen und „Tauben fliegen hoch“ der diesjährigen Gewinnerin des Deutschen Buchpreises Melinda Nadj Abonji, die Kurzgeschichten den Strafverteidigers Ferdinand von Schirach in „Schuld“ und das stark autobiografisch geprägte Buch „Stadt der Engel“ von Christa Wolf. Bernd Geiling, Schauspieler am Hans Otto Theater, las kurze Passagen aus den jeweiligen Büchern. Und allein sein Lesen, wie er für jeden dieser Texte mit seiner Stimme einen ganz eigenen, besonderen und für die Zuhörer mehr als nur einführenden Ton fand, war allein schon den Besuch dieses „Literarischen Salons“ wert.
Die Gespräche zwischen Geldener, Wist, Schöneburg und Tatjana Meissner verliefen angenehm persönlich. Keine überhöhten literaturtheoretischen Diskurse, denen man gelangweilt schon nach wenigen Sätzen nicht mehr folgen will. Es ging unter anderem darum, ob die von Ferdinand von Schirach in seinen Erzählungen beschriebenen Verbrechen tatsächlich auf wahren Fällen aus dessen Kanzlei beruhen oder ob das nicht einfach nur ein wunderbarer Marketingtrick sein könnte. Es ging darum, ob Christa Wolfs „Stadt der Engel“ wirklich zu einem ihrer besten Bücher zu zählen ist oder ob dieses ständige Um-sich-selbst-kreisen, dieses sich Zerfleischen an der eigenen Schuldfrage nicht schon nach wenigen Seiten die Geduld des Lesers überstrapaziere. Und es ging um ganz eigene Kategorien, wonach ein Buch als interessant oder nicht eingestuft wird.
So blieb Tatjana Meissner dem Lob der drei Herren für Christa Wolfs „Stadt der Engel“ gegenüber skeptisch, da sie von Büchern Antworten erwartet, die ihr hier aber nicht gegeben wurden. Dafür war sie von Melinda Nadj Abonjis „Tauben fliegen hoch“ sehr angetan. Ein melancholisches, regelrecht „kuschliges“ Buch. „Seufz“, fügte sie noch an. „Kuschelig“ und „Seufz“ als Bewertungskriterien für Literatur hatte man bis dato auch noch nicht gehört. Aber in dieser angenehmen und offenen Atmosphäre im „Literarischen Salon“ am Sonntagabend ließ man sich gern darauf ein. Dirk Becker
Dirk Becker
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