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Kultur: Zwischen Alltag und Abgrund
Ausgehend vom Dokumentarfilm „Seefeuer“ entspann sich im Thalia Kino eine Diskussion über Probleme in der Flüchtlingshilfe
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Es sind Bilder, die nur schwer auszuhalten sind: Ausgemergelte dehydrierte Körper, übereinandergestapelte Menschen, in schwarzen Säcken zusammengeschnürte Leichen. Aufnahmen aus der brutalen Realität vor der italienischen Insel Lampedusa, auf der fast täglich mehrere hundert Flüchtlinge aus afrikanischen oder arabischen Ländern eintreffen – viele nicht mehr lebend. Solche Bilder zeigt der Dokumentarfilm „Fuocoammare“ (zu Deutsch „Seefeuer“) von Regisseur Gianfranco Rosi, den das Babelsberger Thalia-Kino am vergangenen Donnerstag in Anwesenheit von Amnesty International Aktivistin Cyrielle Fernandez zeigte, eigentlich nur am Rande. Eingeflochten in die alltäglichen Momente von Samuele, einem zwölfjährigen Jungen, der auf der Insel aufwächst, mit einer einseitigen Sehschwäche und Übelkeit auf See kämpft. Und doch sind es diese Bilder, die sich einprägen und die am Donnerstag eine große Frage in den Kinosaal stellten: Muss Kino das? Sind die Nachrichten aus Fernsehen, Radio oder Zeitung nicht schon grauenhaft genug?
Ja, es muss, sagte Cyrielle Fernandez von Amnesty International. Es sollte sogar. „Gerade dieser Film ist sehr interessant gemacht und ermöglicht einen ganz anderen Zugang zu dem Thema“, so die Aktivistin, die sich seit vier Jahren ehrenamtlich bei Amnesty engagiert. Mit dem normalen Alltag in Samueles Leben könnten sich viele Menschen identifizieren, aber genau das zeigt auch, wie einfach es ist, schreckliche Nachrichten auszublenden. Denn auch Samueles Familie hört von den Flüchtlingen im Radio, wünscht sich dann aber doch lieber den Schlager „Fuocoammare“ als Motivation für die Fischer auf See. Das Leid am Rande der Insel scheint sie nicht zu berühren. Regisseur Rosi zeigt das ohne Kommentar, er lässt seine Bilder sprechen – ohne Wertung. Für Fernandez ist das genau die richtige Art, mit dem Thema umzugehen. „Er zeigt uns so sehr deutlich, dass wir das sein könnten und dass wir eben nicht allein auf dieser Welt sind.“ Für ihre Arbeit seien solche Filme extrem wichtig, weil sie die Menschen dazu bringen, über die aktuelle Flüchtlingssituation ins Gespräch zu kommen.
Am Donnerstag gelang das zunächst schleppend, zu sehr quälten die Bilder des Films – und vielleicht drückte auch die übermäßige Wärme noch auf die Gemüter der Zuschauer. Auch die niederschmetternden Zahlen, die Fernandez in den Raum warf – bisher kamen dieses Jahr 251 557 Flüchtlinge über das Mittelmeer, 3034 davon starben – machten es nicht leichter, ins Gespräch zu kommen. Schließlich fiel aber das Schlüsselwort: Hilfe vor Ort. Gerade die lokale Hilfe – auch in Potsdam – sei wichtig, weil sie den Menschen bei der Integration mit am stärksten helfe. „Natürlich können wir dadurch die Probleme in Lampedusa nicht ändern, dazu braucht es sehr viel mehr“, so Fernandez. „Aber wenn die Menschen hier sind, brauchen sie oft Hilfe bei scheinbaren Kleinigkeiten, die sie alleine aber nicht bewältigen können.“ Konkret bedeute das, Hilfe bei Behördengängen, Deutschkurse anbieten, Kinderbetreuung anbieten, bei der Wohnungssuche unterstützen oder auch Hilfsvereine gründen. „Einfach auch mal nachfragen, was die Leute brauchen, sich nach ihrer Geschichte erkundigen“, so Fernandez. „Viele möchten sich gerne mitteilen.“
So weit, so gut – zumindest in der Theorie. Dass jedoch der Helferalltag etwas komplizierter aussehen kann, berichteten zwei Herren aus dem Publikum, die sich selbst engagieren und Deutschkurse für Flüchtlinge geben. Sie sagen, dass es durchaus Motivationsunterschiede bei den Flüchtlingen in Bezug auf die Lernwilligkeit gebe. So seien besonders Menschen aus Syrien sehr interessiert daran, so schnell wie möglich die neue Sprache zu lernen, um eine Arbeit zu finden. Viele Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern hingegen „hingen eher rum“ und schotten sich eher ab. „Trotzdem müsse man sie ja irgendwie abholen“, so ein Zuschauer. Allerdings stieße er dabei an seine Grenzen und würde gerne wissen, was er tun könne? Fernandez argumentierte auch hier, auf die Einzelschicksale Rücksicht zu nehmen und individuell auf die Menschen einzugehen. Auf den Einwand, dass das schwierig sei, wenn nicht einmal eine gemeinsame Sprachebene vorhanden sei, antwortete sie nur, es gebe immer einen Weg zu kommunizieren. Auch solle man sich davor hüten, Flüchtlinge in Kategorien, wie „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge, zu sortieren. Als sie dann zum wiederholten Mal betonte, dass die einzelnen Schicksale beachtet werden müssten, verließen die beiden Herren den Kinosaal. Konkrete Antworten auf ihre Fragen bekamen sie nicht.
Auch auf konkrete Nachfrage spulte Fernandez die immer gleichen Antworten runter und schuf damit eine deutliche Distanz zwischen sich und dem Publikum, deren Alltagserfahrungen fast schon mit ausländerfeindlichen Aussagen gleichgestellt wurden. Zumindest schwang das in den etwas unwirschen Antworten mit. Dass aber auch in der Flüchtlingsarbeit Probleme auftreten können, weil etwa kein Dolmetscher vor Ort ist, muss diskutiert werden können. Andernfalls bleiben verärgerte Fragen im Raum, dringend benötigte Hilfe auf der Strecke und die nicht aushaltbaren Bilder nehmen immer nur zu. Sarah Kugler
„Seefeuer“ läuft täglich um 18.30 Uhr, am Sonntag um 16.30 Uhr im Thalia-Kino, Rudolf Breitscheid Straße 50
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