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Kultur: Zwischen Berliner Askese und Potsdamer Pracht Ausstellung zeigt zwei Garnisonkirchen im Vergleich

Von Erhart Hohenstein 1836 wurde Adolph Sydow als Prediger von der Berliner an die Potsdamer Garnisonkirche versetzt. Damit übernahm ein „geborener Wehrdienstverweigerer“ dieses Amt.

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Von Erhart Hohenstein 1836 wurde Adolph Sydow als Prediger von der Berliner an die Potsdamer Garnisonkirche versetzt. Damit übernahm ein „geborener Wehrdienstverweigerer“ dieses Amt. Seine Mutter war zur Geburt ihrer Söhne nämlich stets aus dem damals selbständigen Charlottenburg vorübergehend in die Hauptstadt umgezogen, weil die von der Kantonspflicht befreit war und Berliner deshalb nicht zum Militärdienst herangezogen werden konnten. Diese und andere überraschende Entdeckungen vermittelt dem Besucher die Ausstellung „Der Adler weicht der Sonne nicht. 300 Jahre Berliner Garnisonkirche“, die am Donnerstagabend im Alten Rathaus eröffnet wurde. Für diesen Ort ist sie um Potsdamer Bezüge erweitert worden. Der berühmte Organist Otto Becker wirkte zuerst an der Berliner, dann an der Potsdamer Kirche. Maler wie Karl Begas oder Wilhelm Hensel statteten im Auftrag Friedrich Wilhelms III . beide Kirchen neu mit Gemälden aus. Im Mitteilungsblatt der Evangelischen Wehrmachtsseelsorge stöberte Dr. Dieter Weigert einen Bericht auf, wonach Mussolini im Oktober 1936 die Potsdamer Garnisonkirche besucht hat. Weigert ist der Vorsitzende des Fördervereins Alter Berliner Garnisonfriedhof, der die Ausstellung im Vorjahr auf den Weg gebracht hat. Sie soll auf jeder Station, die nächsten sind Stölln und Prenzlau, um örtliche Bezüge ergänzt werden. In Potsdam war die Eröffnung mit der Präsentation des gut aufgemachten und reich bebilderten 200-seitigen Katalogs verbunden, für den die Kunsthistorikerin Barbara Kündiger und Dieter Weigert die Texte geschrieben haben. Er ist in der Berlin Edition erschienen. Ausstellung und Katalog verdeutlichen, dass die Berliner Garnisonkirchengeschichte auch ohne Bezug auf Potsdam interessant genug ist. Darauf ging während der Eröffnung Kirchbauexperte Andreas Kitschke ein. 1703 errichtet, flog die Kirche 1720 bei der Explosion des nahe stehenden Pulverturms in die Luft. Dabei fanden mehr als 30 Erwachsene und auch 35 Kinder den Tod, die gerade in der Garnisonschule Unterricht hatten. Die erhaltene Orgel - ein rechtes Wunderding mit auf und ab schwebenden Engeln, aufsteigenden Adlern, sich drehenden Sonnen und dröhnenden Pauken – ließ der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. in die 1722 errichtete Potsdamer Garnisonkirche einbauen, die bekanntlich wegen des schlechten Baugrundes auch nur zehn Jahre stand. Beide Nachfolgebauten wurden von Philipp Gerlach errichtet, die hauptstädtische turm- und schmucklos, aber mit acht Eingängen für die 4000 Soldaten, die jeweils am Gottesdienst teilnahmen, die Potsdamer durch den 90 Meter hohen Turm hervorgehoben, der als Meisterwerk barocker Sakralbaukunst galt und die Stadtsilhouette prägte. Barbara Kündiger spricht von „zwei ungleichen Schwestern“, von „Berliner Askese und Potsdamer Pracht“. Für wichtige staatliche und kirchliche Ereignisse wurde stets Potsdam bevorzugt. Ausstellungsfotos machen auch die unterschiedliche Rolle als Begräbnisstätte deutlich: In Potsdam die Särge der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II in würdiger Umgebung, in Berlin Offizierssärge chaotisch in der Gruft verteilt. Nahezu 1000 Militärs und ihre Angehörigen sind im Laufe der Jahrhunderte unter der Kirche bestattet worden, die letzten erhaltenen Särge wurden beim Abriss der Ruine auf den Stahnsdorfer Südwestkirchhof umgebettet. Ähnlich war allerdings das Schicksal beider Bauten. Unter dem SED-Regime wurde Anfang der 60er Jahre die Berliner Garnisonkirche, 1968 die Potsdamer dem Erdboden gleich gemacht. Doch wenn heute die hauptstädtische vergessen und selbst ihr einstiger Standort an der Spandauer Straße im historischen Stadtzentrum schwer zu lokalisieren ist, blieb die Erinnerung an den Sakralbau in Potsdam lebendig. Während der Eröffnung überbrachte Stadtkirchenpfarrer Markus Schütte die Grüße der neu gegründeten Fördergesellschaft, deren Vorstand er angehört, und gab einen optimistischen Ausblick auf den angestrebten Wiederaufbau. „Der Adler weicht der Sonne nicht. 300 Jahre Berliner Garnisonkirche“. Altes Rathaus, 19. März bis 2. Mai, Di- So, 10-18 Uhr. Katalog, Berlin Edition, 2004, 207 S., 130 Abbildungen, 14,80 Euro, ISBN 3-8148-0128-8.

Erhart Hohenstein

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