
© Spiekermann-Klaas
Von Daniel Flügel: Zwischen Chaos und Gemütlichkeit
Terézia Mora liest heute in Potsdam aus ihrem Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“
Stand:
Darius Kopp ist scheinbar ein glücklich verheirateter und beruflich erfolgreicher Mann. Als überzeugter Großstädter, stets in feinem Zwirn und nie ohne Handy und Laptop unterwegs, wähnt sich der beleibte Hüne sattelfest und froh in der modernen Welt. Unbeirrt hält er sich selbst für einen Gewinner, doch merkt man schnell: dieser Held ist ein Verlierer. Denn innerhalb einer Woche lösen sich all die Selbstverständlichkeiten seines Lebens auf, so dass hinter der ausgeglichenen Fassade ein schlampiges, bemitleidenswertes Kerlchen erkennbar wird. Von diesem Kerlchen namens Darius Kopp erzählt Terézia Moras Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, den sie heute in Potsdam vorstellt.
Acht Tage im September 2008 begleitet der Leser den privaten wie beruflichen Alltag von Darius Kopp, der in einem Berliner Bürohaus als „Einziger Mann auf dem Kontinent“ eine dubiose US-amerikanische Firma für drahtlose Netzwerke in den Ländern Mittel- und Osteuropas vertritt. Was er allerdings immer wieder mit unerklärlichem Optimismus überspielt, ist die Tatsache, dass seine Geschäfte kaum noch rentabel verlaufen. Da helfen auch die 40 000 Euro wenig, die ein säumiger Kunde als Teilzahlung in einem Pappkarton für ihn abgibt, weiß doch Kopp nicht, was mit dem Bargeld geschehen soll. Er, der alles im Griff zu haben glaubt, fühlt sich überfordert. Vergeblich versucht er tagelang telefonisch und per Mail seine Vorgesetzten in London und San Francisco zu erreichen. Doch fast scheint es, als existiere die Firma bereits gar nicht mehr.
Kopp aber tut das Übliche: In einer Mischung aus Chaos und Gemütlichkeit flüchtet er sich in die tumbe Virtualität des Internets, um die tägliche Menge an Newsletter und Schreckensmeldungen zu sichten, die stets unveränderte Firmenseite anzustarren, permanent seine E-Mails zu checken und nach immer gleichen, aber völlig bedeutungs- und nutzlosen Informationen zu suchen. Unterbrochen von stets überreichlichen Zwischenmahlzeiten, vergehen so ganze Arbeitstage, durch die sich Kopp, im Dunst seiner künstlichen Seelenruhe, treiben lässt. Als Leser möchte man diesen durchaus auch liebenswerten Faulpelz, diesen modernen Oblomov, so gerne wachrütteln. Denn ohne dass Kopp es richtig registriert, vereinsamt er auch im Privatleben, wo Plaudereien mit Freunden oberflächlich bleiben oder versanden und Gespräche mit der eigenen Familie nur qualvolle Pflichtübungen sind. Und ist die Ehe mit Flora für ihn auch ein Lebensglück, so übersieht er doch, dass sie ihre Harmonie und gemeinsame Sprache schon verloren hat. Da ist es kein Wunder, dass dieser Verdrängungskünstler den tiefen Abgrund, dem er haltlos entgegen taumelt, erst bemerkt, als Flora plötzlich aus der gemeinsamen Wohnung zieht.
Die in Ungarn geborene und seit 1990 in Berlin lebende Autorin Terézia Mora, die in der vergangenen Woche mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet wurde, hat mit „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, ihr mittlerweile drittes Buch, einen Gegenwartsroman geschrieben, in dem sich das Thema der verfehlten Kommunikation über mehrere Ebenen erstreckt. Doch ist dieser Roman weniger eine Zeitkritik denn eine moderne, tatsächlich oft witzige und sehr unterhaltsame Tragikkomödie, die zudem mit einer wirklich bemerkenswerten Technik erzählt wird. Man braucht nicht lange, sich an den überwiegend raschen, lebhaften Sound und das faszinierende Zugleich von Außensicht der Erzählerin und der Innenwahrnehmung von Darius Kopp zu gewöhnen. Aber Obacht: Einmal angelesen, legt man das Buch so schnell nicht wieder aus der Hand.
Terézia Mora liest heue, 20 Uhr, im Lieraturladen Wist, Brandenburger-/Ecke Dortustraße aus „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ (Luchterhand Verlag, München 2009, 384 S., 21,95 €). Der Eintritt kostet 5 Euro
Daniel Flügel
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