Kultur: Zwischen distanziert und emphatisch
Stars international im Nikolaisaal: Klavierabend mit dem Moskauer Nikolai Lugansky
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Er sei ein typischer Vertreter der russischen Pianistenschule, heißt es von Nikolai Lugansky, der bei Klavierlegende Tatjana Nikolajewa am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau studierte. Worin offenbart sie sich? In kraftdonnerndem Spiel? In romantisch zerfließenden, melancholisch schluchzenden Seelenergießungen, durch die „rrrussische Sääle“ sich ausdrücken soll? Kann uns diese Fragen der Sieger des Tschaikowsky-Wettbewerbs 1994 bei seinem Auftritt im Nikolaisaal im Rahmen der Reihe „Stars international“ beantworten?
Zielstrebig und ernsten Gesichts geht er zu seinem Steinway-Arbeitsgerät – die personifizierte Konzentration. Dann legt er sich die Noten von Ludwig van Beethovens d-Moll-Klaviersonate op. 31 Nr.2 „Sturm“ gedanklich zurecht. In ihrer ton-setzerischen Neuartigkeit (die musikalischen Gebilde entstehen aus der Stille heraus und entwickeln sich im steten Gestaltwandel) wurde sie einst zum Inbegriff der musikalischen Dämonie. Dabei sieht sich lyrisches Nachsinnen immer wieder in den Gegensatz zu leidenschaftlichen Erregungen gestellt. Lugansky scheint diese abrupten Stimmungswechsel zu lieben. Inniges tastatiert er weich im Anschlag, mit viel rechtem Pedal. Sehr breite Zeitmaße führen das Notengefüge bisweilen an die Grenze des Zusammenhalts. Leidenschaftliches zeigt er dann, Typ Tastenlöwe, hart, kantig und weitgehend undifferenziert im Anschlag vor. Distanziert und wie abgerissen erklingt manche Phrase, die eigentlich der fürsorglichen Fortspinnung bedurft hätte. Dann wieder teilt er filigrane Zärtlichkeiten aus. Ein Wechselbad der Stimmungen, zwischen nüchtern und langweilig angesiedelt. Das soll die viel beschworene russische Schule sein?!
Vielleicht offenbart sie sich in Maurice Ravels dreiteiliger Klangmalerei „Gaspard de la nuit“ auf Gedichte von Aloysius Bertrand? Es handele sich um „Stücke von transzendenter Virtuosität“, so der Komponist. In ihnen kann der Nachschöpfer seine technische Bravour vorzeigen. Ätherisch leicht, dennoch klar getönt und geschmeidig erzählt die Nixe Ondine von ihrem glitzernden Wasserreich. Mitunter braust es gewaltig. „Le Gibet“ (Der Galgen) möchte eine makabre Szenerie schildern, die sich jedoch bei Lugansky in tastenspielenden Grenzen hält. Akrobatik pur ist bei der grotesken Skizze aus der pianistischen Schreckenskammer „Scarbo“ eingefordert. Er könnte ein französisches Pendant zum wutschnaubenden Rumpelstilzchen oder dem Gnom aus Mussorgskyscher Bilderwelt sein. Lugansky lässt ihn toben, erschöpft grummeln, sich wieder aufrappeln – sehr fingervirtuos.
Nach der Pause erscheint der Pianist wie verwandelt. Ohne kraftstrotzende Attitüden, dafür anschlagsnuancierend breitet er sieben Etüden aus op. 8 von Alexander Skrjabin als stimmungsmalende Miniaturen aus. Zwischen leidenschaftlich, heiter erregt, verhalten, gelöst, sanguinisch und auftrumpfend durchschreitet er einen Mikrokosmos menschlicher Empfindungen. Dennoch: sein Spiel bleibt noch immer ein wenig zurückhaltend. Nicht so in den sechs „Moments musicaux“ op. 16 von Sergej Rachmaninow. Auch in diesen „musikalischen Momenten“ enthüllt uns der Pianist eine berauschende Klangfülle: elegisch, kapriziös, kraftstrotzend und singend, melancholisch, aber nicht zerfließend. In dieser Summe menschlicher und pianistischer Tugenden mag man das Geheimnis der slawischen Seele entdecken.
Bei Rachmninow konnte Nikolai Lugansky aus sich herausgehen, war er schließlich bei sich selbst angekommen. Wie im abschließenden C-Dur-Maestoso mit seiner vollgriffigen Lisztschen Manier geriet auch der Beifall. Daraufhin gab es vier Zugaben.Peter Buske
Peter Buske
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