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Kultur: Zwischen Größenwahn und Resignation Buch und Ausstellung über den Berliner Witz

Berlin war einstmals „Spitze“, was sein Mundwerk betraf. Namen wie Glaßbrenner, Nante und Zille, in jüngerer Zeit Neuß, „Schruppke“ oder Pfitzmann, sind noch heute manchem im Ohr.

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Berlin war einstmals „Spitze“, was sein Mundwerk betraf. Namen wie Glaßbrenner, Nante und Zille, in jüngerer Zeit Neuß, „Schruppke“ oder Pfitzmann, sind noch heute manchem im Ohr. Inzwischen, schreibt der Kulturhistoriker Lothar Binger in seinem Buch „Berliner Witz“, hätten andere Landstriche diese flinke Zunge längst verdrängt – wenigstens im Comedy-Fernsehen. Hauptstädtische Mundart (inklusive Kurt Krömer) bilde hier sogar das Schlusslicht. Kann dieser Witz nicht überall beheimatet sein: Hält der Polizist ein Auto an, darin eine Dame heftig keift. Ist das ihre Frau? Als der Fahrer bejaht, sagt er milde: fahr weiter, Bruder! Grethe Weiser erzählte ihn einst. Die andere Art erkennt man sofort: Nimmt eine Frau in einer Zoohandlung ihren Hund auf den Arm, damit er einen Affen besser sehen kann. Der Ladenbesitzer: Jute Frau, meine Tiere sind schon bedient, wennse Sie sehen, müssen Sie nu ooch noch Ihre Töle hochheben? – Janz schön ausjewitzt, diese Berliner Schnauze!

Auszüge aus Lothar Bingers kulturhistorischem Streifzug sind derzeit auf großflächigen Schautafeln im ersten Stock der Stadt- und Landesbibliothek zu sehen. Die Ausstellung ist mit zeitgenössischen Farb-Karikaturen (von Chodowiwecki und Trier bis zu Klaus Stuttmann) illustriert. Im Buch sind sie schwarzweiß. Einzelne Tafeln heben Personen wie Glaßbrenner, Zille, Tucholsky oder die Meysel besonders heraus, doch man gewinnt schnell den Eindruck, als wäre aus dem Buch mehr Nutzen zu ziehen.

Binger suchte, wie das Literaturverzeichnis beweist, mit größtem Fleiß nach den Hintergründen für die sprichwörtliche Schlagfertigkeit jenes Menschentypus an Havel und Spree. Er fand ihn „zwischen Größenwahn und Resignation“. Bismarck erzählte gern folgendes: Nein, sagte einer, so hohe Berje wie die Alpen haa“m wir in Berlin nich, aber wenn wir welche hätten, wären se bestimmt noch höher. Zwischen Größenwahn und Resignation ist letztlich alles zu Hause, was des Berliners Herz beschwert, politische Bedrängnis, sein Verhalten zu den „Ausländern“, also Touristen und Geschäftsleute von Nah und Fern, aber auch soziale Dinge, wie Zille sie in Bild und Schrift mitteilte. Selbstbehauptung und Selbstbestätigung nach innen – Großmäuligkeit nach außen, Schlagfertigkeit und Witz helfen immer weiter, wer nicht auf den Mund gefallen ist. Sprachverdrehungen (aus doppelt kohlensaurem Natron“ wird Doppelsohlen kauendes Nashorn“), logische Fallstricke und Kalauer liebt der Spree-Athener besonders. Hinter seiner überheblichen Schandschnauze verberge der Berliner aber nichts anderes als „Unsicherheit der Gefühle“. General Wrangel wusste das: Als Aufständische ihm mit dem Tod seiner Frau in Stettin drohten, wenn seine Truppen 1849 in Berlin einmarschierten, tat er“s doch, und nichts geschah. „Det wußt ick ja“, kommentierte er amüsiert, „uff die Berliner is keen Valaß“. Fein ist ihre Lebensart bis heute nicht, eher so grob, dass Hotels und Restaurants es längst vorziehen, Personal anderer deutscher Provinzen einzustellen.

Lothar Binger führt den Leser durch die Schlösser und Salons des historischen Berlin, schaut den Einheimischen aufs Maul, befragt Reisende wie Heine oder Goethe, Jean Paul. Er untersucht die „Witzkultur der Romantik“, wird in der Gründerzeit fündig, in den 20ern des letzten Jahrhunderts, sogar in der Gegenwart. Der politische Witz („Wie kannste sar“n, es geht Dir jut, denkste nich an die Mauer? - Is Einzelhaft dir lieber?“) steht neben dem „architektonischen“, der private neben dem öffentlichen. Leider tötet die politische Korrektheit des Autors manchmal den Spaß an der Freude – Royalisten oder gar Theokraten würden die „Witz-Kultur“ Berlins ohnehin ganz anders beschreiben. Gerold Paul

Ausstellung bis in der Stadt- und Landesbibliothek zum 1. Februar ; Lothar Binger „Berliner Witz. Zwischen Größenwahn und Resignation“, Verlag be.bra

Gerold Paul

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