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Gefeiert: Henry Hübchen, Sylvester Groth, Andreas Dresen und Produzent Christoph Müller (v.l.) freuten sich über den riesigen Zuspruch der Potsdamer.

© Manfred Thomas

Von Heidi Jäger: Zwischen Höhenflug und Absturz

Andreas Dresens neuer Film „Whisky mit Wodka“ wurde im Inselkino als Voraufführung gefeiert

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Beim Filmriss bleibt sogar das „Arschloch“ auf der Strecke. Das gern benutzte Wort von Schauspieler Otto ist ihm aufs Stichwort vor laufender Kamera prompt abhanden gekommen. Wie auch seine Standfestigkeit. Kein Wunder: Otto hat klammheimlich während des Drehens ordentlich einen hinter die Binde gekippt: getarnt aus der Thermoskanne. Ein Rückfall für ihn, der schon mal einen Film zum Scheitern brachte und nun wieder die Produktion gefährdet. Denn Drehzeit ist kostbar und schluckt Geld. „Und du kannst eben nicht für 2,50 Euro die Bibel verfilmen“, heißt es so schön sarkastisch.

Also beschließt der Produzent, Otto mit einer Zweitbesetzung zum Besseren, eben zur Nüchternheit zu bekehren. Denn auch der große Star muss wissen, dass er ersetzbar ist. Alle Szenen werden noch einmal mit dem Otto-„Double“ gedreht: einem talentierten, bislang unbekannten, dafür aber billigen Ersatzspieler. Einem aus dem Osten. Die Probleme sind vorprogrammiert.

Halb Potsdam pilgerte am Donnerstagabend zum Inselkino auf die Freundschaftsinsel, um den Regiesieg aus Karlovy Vary, „Whisky mit Wodka“, nunmehr in der Heimatstadt des Regisseurs zu feiern. Und der hatte tatsächlich 20 Leute aus seiner Crew, darunter einige der 17 Hippies, mit an die Alte Fahrt gebracht, die das fröhliche Lachen der rund 500 Zuschauer über die Tragikomödie sichtlich genossen. Dresen und Drehbuchschreiber Wolfgang Kohlhaase warfen sich immer wieder zufriedene Blicke zu: Ihre ausgefeilten Pointen saßen. Und Otto-Darsteller Henry Hübchen hatte nicht nur im Film Autogramme zu geben, sondern durfte, wie auch Sylvester Groth, der überzeugend das angepasste, Regie führende „Weichei“ spielte, auf seinem Zuschauerplatz im Foerster-Garten immer wieder den Stift zücken.

„Whisky mit Wodka“ ist ein Film im Film mit verwischenden Grenzen und beschreibt zudem eine wahre Begebenheit: denn DEFA-Regisseur Kurt Maetzig kam tatsächlich einmal auf die Idee, einem trinkenden Schauspieler die gelbe Karte zu zeigen, in dem er einen zweiten Darsteller auflaufen ließ und alle Szenen zur Sicherheit doppelt drehte. Was das für einen Darsteller bedeutet und auch für seine Mitspieler, wusste nicht nur Hübchen bravourös zu erzählen. Er zeichnet seinen Otto mit großer Vitalität, immer auf dem Sprung und doch kurz vor dem Absturz. Wie fühlt es sich an für einen Menschen, der nur für die Arbeit lebt und plötzlich kalt gestellt wird? Otto hat es verlernt, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen. Sein Alltag besteht darin, zu warten: auf das nächste Drehbuch, auf das Auto, das ihn zum Dreh fährt, auf die nächste Klappe. Und was ist, wenn das alles plötzlich fehlt? Dresen gewährt Einblick in eine Seele, die kurz vor dem Verdursten ist und umso gieriger nach Brennstoff greift.

Doch Otto steht nicht allein in seiner Sehnsucht: die ganze Filmgesellschaft, die bis in die kleinste Rolle bestens besetzt ist, buhlt um Anerkennung und etwas Zärtlichkeit. Jeder möchte mit jedem unter die wärmende Zudecke. Ein Spiel mit Klischees, das Dresen in diesem Film mehrfach auskostet. Auch mit der Ossi-Nummer und den Worthülsen der Wessis, auf die man aber hätte verzichten können.

Dresen blättert die Filmwelt auf wie ein buntes Magazin und lässt den Zuschauer genüsslich an den Eskapaden und Aufgeregtheiten, den Eitelkeiten und Demütigungen teilhaben. Aber er ist nicht nur der Voyeur, der die eigene Zunft mal augenzwinkernd, mal melancholisch vorführt. Es gibt einen großen Monolog, der über den Filmabend hinaus hängen bleibt: „Ja. Ich war besoffen. Na und?!“, schreit Otto der feiernden Masse entgegen. „Aber man zeigt als Schauspieler sein nacktes Gesicht und was man dafür haben will, ist ein bisschen Respekt, ein bisschen Geduld. Ihr aber behandelt mich wie einen Arsch, mit Misstrauen und ohne Anstand. Doch was ist das für ein Film, der mit falschem Herzen gemacht wird?“ Dresen drehte eine Ode an die Aufrichtigkeit, auch und gerade im Film, dem Künstler einen Großteil ihres Lebens verschreiben. Die Geschlossenheit der „Dresen-Filmfamilie“ zeigt offensichtlich: Es geht auch anders.

Dem aufgeregten Gewusel rund um die Dreharbeiten setzt Kameramann Andreas Höfer wunderbar ruhige Großaufnahmen entgegen: Er zeigt eine ganz weiche Corinna Harfouch, einen in sich versunkenen Henry Hübchen. Auch Postkartenidyllen wie aus den „goldenen“ 20ern, der Zeit, in dem der Film im Film spielt. Die mondäne weiße Turmvilla, in der sich die Rivalen versuchen, gegenseitig die Show zu stehlen, erhebt sich wie ein Märchenschloss. Ihm gegenüber rangiert der große Zirkus-Fuhrpark, mit dem die Filmleute an der Ostsee gestrandet sind. Er wirkt wie ein verlorenes Schiff: vom Leben entrückt und doch nach dem Leben greifend. Die Wellen plätschern derweil versöhnlich über die Klippen aufwühlender Leidenschaften hinweg.

„Alle lieben die Wahrheit und jeder lügt“, heißt es am Ende weise. Und alle fallen in ein Loch, wenn die letzte Klappe fällt. „Man trennt sich, wenn man sich gerade erst kennen gelernt hat“, sagt eine junge Darstellerin wehmütig. Und im Hintergrund spielt leise die Musik von „Solo Sunny“. Dresens bislang aufwändigster Film „Whisky mit Wodka“ kommt prickelnd daher wie Perlwein: sommerlich leicht und bekömmlich. Und er hinterlässt weder einen schweren Kopf, noch Katerstimmung.

Erneut am 31. August im Thalia, offizieller Kinostart am 3. September.

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