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Potsdam Museum: Zwischen Neubeginn und Abriss

Das Potsdam Museum zeigt eine Werkschau zur Geschichte der Grafikkunst in der Stadt

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Durch einen großen Bruch in der Mauer sind im Hintergrund die Umrisse der Pfaueninsel zu erkennen. Einige Reste des Grenzwalls liegen verstreut auf dem Boden herum. Die Farbradierung ist größtenteils in hellem Gelb gehalten. Die Strahlen der scheinbar aufgehenden Sonne versprechen einen schönen Tag. Der Potsdamer Christian Heinze, der seit den 1960er-Jahren in der Berliner Vorstadt lebt, mit unmittelbarem Blick auf die Mauer, stilisiert in seinem Werk „Der erste Blick“ von 1989 den Abbau der Grenzanlage als freudigen Aufbruch und Neubeginn.

Die Radierung gehört zur Sonderausstellung „Potsdam in der Grafik von 1945 bis 2000“, die derzeit im Potsdam Museum zu sehen ist. Insgesamt sind 115 Grafiken von etwa 30 regionalen und überregionalen Künstlerinnen und Künstlern, darunter Christian Heinze, Thomas Jung, Hans-Joachim Biedermann, Karl Raetsch, Monika Durchholz, Gottfried Höfer, Paul August und Otto Heinrich, ausgestellt.

Einige der Werke werden zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Das Potsdam Museum kann auf einen großen Fundus zurückgreifen. Über 250 000 Objekte befinden sich in seiner Sammlung. Darunter auch mehr als 7000 Grafiken. Unter dem Motto „Fokus Sammlung“ sollen in der Zukunft in loser Folge weitere Bestände des Fundus unter verschiedenen Forschungsaspekten ausgestellt werden. Die derzeitige Sonderausstellung ist als Fortsetzung der im Jahr 2014 gezeigten Schau „Stadt-Bild / Kunst-Raum“ gedacht, die vor allem Gemälde aus dem Bestand der Sammlung zeigte. Die Grafiken reichen von 1945 bis heute und sind zum Großteil Erbe der „Galerie Sozialistischer Kunst“ (GSK), deren Bestand nach der Wende an das Potsdam Museum überging. Anna Havemann, Sammlungsbetreuerin und Kuratorin der Ausstellung, erklärt, dass vor allem in den letzten Jahren der Bestand sich durch zahlreiche Schenkungen noch einmal drastisch vergrößert habe.

Die Arbeiten zeigen sehr eindrucksvoll die Stadt Potsdam zwischen Zerstörung, Abriss und Neubeginn und lassen die tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Umbrüche im 20. Jahrhundert erkennen. Den Anfang bilden Werke, die Potsdams Zerstörung nach dem britischen Luftangriff vom 14. April 1945 zeigen. Die Zeichnungen und Aquarelle veranschaulichen die Verwüstung auf sehr unterschiedliche Weise. Düstere, grob-skizzierte expressionistische Zeichnungen in schwarz-weiß von Egon von Kameke oder Hubert Globisch zeigen die trostlosen Ruinen der Stadt in karger Umgebung. Dem gegenüber stehen bunt kolorierte Aquarelle und Grafiken von Hans Klohß oder Otto Heinrich, auf denen der Himmel in strahlendem Blau scheint und das Leben trotz Trümmerlandschaften weitergeht. Letztere gehören zum Teil zu einer Reihe von Bildern, die im Auftrag der Stadt entstanden sind. Ob die positive Darstellung der Ruinen dem Auftraggeber geschuldet ist oder dem Stil der Künstler, sei Spekulation, so Havemann.

Viele der Werke zeigen die eigenwillige Ambivalenz der Stadt zwischen historischem Verfall und modernem Aufbau. In den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wandelte sich vor allem das Antlitz des Alten Markts und seiner Umgebung massiv. Einige Künstler, wie Gerhard Hadert, dokumentieren in gedeckten Farben den Abriss des Stadtschlosses von 1960 als infernalische Zerstörung, andere Künstler fokussierten sich in ihren kräftigen, lebendigen Werken auf den Fortschritt in der Stadt und stellten, wie Paul August, den Bau der neuen Schwimmhalle am Brauhausberg von 1971, die modernen Neubauten dar.

Viele der Künstler und Künstlerinnen konzentrierten sich jedoch, wohl auch aus Protest, in dieser Zeit vor allem auf die barocken Bauten, Fassaden und Hinterhöfe. Die Stadt wird hier von Künstlern wie Barbara Raetsch, Peter Rohn oder Gottfried Höfer, als melancholischer, einsamer Ort skizziert. Auf den Bildern dominieren einsame Häuseransichten und fast menschenleeren Straßen.

Gegen den Verfall formierte sich innerhalb der Potsdamer Bevölkerung in den 80ern Protest. Zahlreiche Bürgerinitiativen, wie der Argus Verein und die „Arbeitsgemeinschaft Pfingstberg“, versuchten die Abbrüche der historischen Gebäude zu verhindern und Restaurierungen in Gang zu setzten. Den Verfall des Belvedere hielt 1984 der Maler und Zeichner Thomas Jung fest.

Das Belvedere war in der Zeit nicht zugänglich, da es den Blick auf die Grenzanlagen ermöglichte. Jung muss sein abstrakt anmutendes Werk, das das Belvedere in schmutzigen grau-braunen Tönen zeigt, heimlich gemalt haben. Einige andere Grafiken zeigen das Holländische Viertel, das zwar den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet überstanden hatte, aber in der DDR extrem vernachlässigt wurde. Teile davon wurden noch in den späten 80er-Jahren abgerissen. Während Wolfgang Liebert den beginnenden Aufbau zeigt, stellt Hans-Joachim Biedermann, im starken Kontrast zu den Neubauten des „Ernst von Bergmann“-Klinikums im Hintergrund, den Abriss einiger Holländerhäuser dar. Dieser nicht immer funktionierende Spagat zwischen Moderne und Geschichte, Anspruch und Wirklichkeit zieht sich bis heute durch Potsdam und wirft immer wieder neu Fragen über den Umgang mit dem eigenen kulturellen Erbe auf. Sarah Stoffers

„Potsdam in der Grafik von 1945 bis 2000“ ist noch bis zum 30. Oktober zu besichtigen. Am heutigen Donnerstag findet um 18 Uhr im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9, die einzige geplante Führung durch die Ausstellung mit Kuratorin Anna Havemann statt

Sarah Stoffers

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