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Kultur: Zwischen Platte und Kleist

Zur Brandenburgischen Literaturnacht kamen nicht nur Christa Wolf und Andreas Meier in die Schiffbauergasse

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Zur Brandenburgischen Literaturnacht kamen nicht nur Christa Wolf und Andreas Meier in die Schiffbauergasse Jens Bisky mag keine Plattenbauten. Für ihn waren die Gebäude, die einst die Wohnungsnot beseitigten und einheitlichen Wohnkomfort schaffen sollten, Zeichen einer uniformierten Gesellschaft, die die Individualität der Staatsbürger systematisch beschnitt. Mit lakonischem Zynismus las Bisky bei der fünften Brandenburgischen Literaturnacht aus „Geboren am 13. August“, seinen Erinnerungen an das realsozialistische Deutschland, unterbrach dann und wann kaum merklich seine Lesung, um im selben Tonfall wie zuvor, jedoch frei memorierend seine Reflexionen über die Wohnkultur der DDR preiszugeben. Der verhinderte Potsdamer Literaturstipendiat Andreas Maier hingegen hat die Chance, Biskys Erfahrung 14 Jahre nach der „Wende“ nachzuholen, wohl endgültig verpasst. Aber auch bei ihm ging es um das Wohnen in der „Platte“. Zuerst trug Maier jedoch einen Aufsatz über die Atommülltransporte nach Gorleben vor, der schmerzlich zeigte, was Potsdam durch seinen Rücktritt mutmaßlich entgeht: Maier wäre einer gewesen, der seine Blicke gleichermaßen hinter die Fassaden von Schlössern wie Plattenbauten geworfen hätte, einer, der das sprachliche Gespür gehabt hätte, Potsdams unverarbeitete Gespaltenheit zwischen Sanssouci und Schlaatz zu beschreiben und so der Intention des Stipendiums, anders als die Posse um die Wohnung vermuten lässt, wohl doch genüge leisten zu können. Bereits in seiner Darstellung über Gorleben waren es ganz ähnlich wie später in Potsdam, sprachlich vermittelte, jedoch programmatische Missverständnisse, die der junge Autor erfuhr und wiedergab. Auch in seinen Romanen vermittelt Andreas Maier vor allem das Misstrauen dem geschriebenen, wie dem gesprochenen – selbst dem eigenen – Wort gegenüber. Helmut Krausser erzählte nicht von Potsdam, sondern von Pompeji. Plattenbauten gab es dort keine, jedoch den Vesuv. Dieser zerstörte einst die schöne Stadt. Aber das ist lange her. Heute gibt es dort jede Menge Straßenhunde. In Kraussers „Die wilden Hunde von Pompeii“ haben diese dann spaßige Namen wie „Kaffeekanne“. Und wenn der Autor zwar angespannt, doch mit verschiedenen Stimmen die Abenteuer von Ich-Erzähler Kaffeekanne und der Sandviper Clabauta erzählt, wird es recht lustig, selbst wenn die allegorische Tiefe der allzu menschlichen Natur der Straßenhunde bisweilen an die von Disneys Zeichentrickfilmchen erinnert und hinter der Fabel stets durchsichtige Moralität lauert. Zu später Stunde las Martin Ahrends, als Ersatz für die erkrankte Antje Rávic Strubel, aus einem verstrickten Roman, in dem sich der Protagonist, just als ihm eine Frau von der Wohnungsgenossenschaft sein neues Domizil zeigt, aus dem 16. Stock eines Hochhauses stürzt. Die Geschichte spielt in Hamburg. Das liegt im Westen. Moritz Reininghaus * * * Eine Vielzahl von Stimmen versammelt sich in der Großmutter der Erzählung „Tand“ von Jenny Erpenbeck. Als Stimmenimitatorin kann sie jede beliebige Stimme aus sich hervorholen. Die Frage nach dem Ursprung der Stimmenvielfalt der Großmutter lässt die Enkelin über das Mittagessen spekulieren, ist doch eine Lieblingsspeise der Großmutter Bregen, Gehirn vom Rind. Das Kind ist auf den registrierenden Blick angewiesen, es reflektiert nicht, kennt keine Verhältnismäßigkeit und keinen Zynismus. Die Großmutter, bei der sie lebt, redet kaum mit ihr. Sprache scheint der alten Dame lediglich das Mittel ihrer Kunst zu sein, nicht aber ein Werkzeug der Kommunikation. Die Kunst, „Wörter mit Luft zu füttern“, bringt sie der Enkelin noch bei, bevor sie sich in ihre Altersdemenz zurückzieht. Erpenbecks Sprache ist nicht Klang, sondern Bild. Die kurze Erzählung überraschte durch die konsequente Treue zur kindlichen Wahrnehmung und die distanzierte Erzählweise, die eine kuriose und trotzdem liebevolle Beziehung beschrieb, und begeisterte. In der eisigen Literaturnacht eilten nun die meisten Zuhörer in eine andere Spielstätte, war doch mit Christa Wolf eine der bekanntesten deutschsprachigen Autorinnen eingeladen. Die 75-Jährige nahm ihre Rolle als Institution ernst und gab eine kurze Einführung zu „Kein Ort. Nirgends“, die den Text historisch verortete und ebenso spannend war wie die Lesung selbst. 1978 entstanden, sei die Erzählung einer fiktiven Begegnung der beiden romantischen Geister Kleist und Günderode Zeugnis einer Desillusionierung. Die nach dem 11. Plenum und der Biermann-Ausbürgerung gewonnene Erkenntnis, „ohne Alternative leben lernen zu müssen“, habe sie bewogen, in die Vergangenheit zu schauen. Anna Seghers wies sie auf die ungestümen Dichter, „die ihr Land liebten, obwohl sie sich die Stirne wund rieben an den Schranken der Gesellschaft“. Nicht vordergründig ästhetische, sondern politische Gründe haben sie zur Auseinandersetzung mit der Romantik geführt. Nach dieser Zurechtrückung der Rezeption des Textes las sie Teile aus ihm vor, mit einer Stimme, die so unprätentiös war wie ihre Einleitung. Die mehrheitlich jungen Stimmen der Literaturnacht, das Durchschnittsalter der Autoren war 36, bewiesen, dass auch die den Romantikern und Christa Wolf nachfolgenden Dichtergenerationen „immer noch gierig nach dem Aschegeschmack der Worte“ sind. Wie Sprache in Dichtung immer neu erfunden werden kann, zeigte Juliane Kann, mit 22 Jahren die wohl jüngste Autorin der Literaturnacht. Die Auszüge aus dem Drama „Blutige Heimat“ bestachen durch den mutigen Umgang mit Sprache, Kann lässt sie zerbröckeln und fügt sie zu grausamen Metaphern neu zusammen. Eine Entdeckung in der späten Nacht. Lena Zade

Moritz Reininghaus

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