Kultur: Zwischen Rausch und Kreativität
Unidram – das Festival für junges Theater in Europa – geht am 26. Oktober in seine 13. Runde
Stand:
Ein langer, ovaler Tresen. Drum herum sitzen Nachtgestalten, die zusehen, wie das Leben an ihnen vorbei fließt. Man bestellt ein letztes Bier, philosophiert, schläft, trinkt weiter. Der Raum krümmt sich immer mehr, das Taxi fährt früher vor als erhofft. Dazu Akkorde von der Hammondorgel. Die Grenzen zwischen Fantasie, Erinnerung und Erleben verschieben sich. Neue Räume entstehen.
Das Stück „Delirium“, mit dem am 26. Oktober das 13. Festival für junges europäisches Theater „Unidram“ eröffnet wird, erinnert an ein Bild von Hopper oder an die Melancholie des Filmemachers Kaurismäki. „In dieser Nachtfantasie der Schweizer Gruppe ,Plasma-Projekt“ werden die Pole vorgegeben, zwischen denen sich unser diesjähriges Programm bewegt: Rausch und Obsession, Wahn und Kreativität“, so Unidram-Organisator Jens-Uwe Sprengel. Auch die zum ersten Mal veranstaltete „Lange Nacht der Experimente“ spiegele sehr komprimiert das Festival: Da entsteigt der blutdürstige Dracula der düsteren Papierwelt des Miniaturtheaters Ivisius, bändigt das Budweiser Wandertheater „Divadlo Kvelb“ das Feuer, betreten groteske Ballonmenschen von „Babelfish“ die Bühne und betreiben ein irrwitziges Spiel mit der Gefahr, dass es plötzlich knallt. „Besonders extrem ist das Stück ,Myopia“ der international besetzten Gruppe ,Djalma Primordial Science“. In ihrer vom Butoh beeinflussten Inszenierung spielen zwei Frauen ein pubertierendes Schulmädchen, das zwiegespalten ist: Ein Körper, der sich der Konformität verweigert, ein anderer, der danach sucht. Fieberhafte, sehr reduzierte, insektenähnliche Bewegungen bestimmen diese Aufführung um das Thema Zerbrechlichkeit“, macht Sprengel neugierig.
Wie bereits im vergangenen Jahr wird sich Unidram auch diesmal wieder über zehn Tage erstrecken und an jedem Abend nur eine Vorstellung zeigen. Das lässt Zeit für Publikumsgespräche. Der Zuschauer darf bei der Präsentation von rund 100 Theatermachern aus acht Nationen vor allem auf die Wiederbegegnung mit dem Prager Tanztheater „Farm in te Cave“ gespannt sein: der Entdeckung des Vorjahres. „Die Künstler beeindruckten durch ihre starke expressive Körperlichkeit und durch ihre klare politische Botschaft“, so T-Werker Jens-Uwe Sprengel. Im vergangenen Jahr widmete sich das junge Theaterlaboratorium dem Thema Emigration, diesmal dem Holocaust. „Waiting Room“ beschreibt den letzten Weg vom Bahnhof in den Tod.
Wie Jens-Uwe Sprengel bei der Vorbesichtigung der Angebote feststellte, rückt der menschliche Körper immer mehr in den Mittelpunkt der experimentellen, freien Theater. „Die Verbindung mit Video, wie sie vor ein paar Jahren zelebriert wurde, gibt es kaum noch. Oft wird hingegen mit Live-Musik, Tanz und Schauspiel gearbeitet. Die verschiedenen Ebenen mischen sich. Wir suchen natürlich auch bewusst nach solchen Angeboten und filterten sie aus den etwa 150 Bewerbungen heraus.“ Die Unidram-Organisatoren schauen sich im Vorfeld alle Inszenierungen an, wenn nicht live, dann wenigstens per Mitschnitt. „Das einzige Wagnis ist unser Abschluss. Noch ist der Tänzer Ismael Ivo dabei, gemeinsam mit dem Theaterlabor Bielefeld ein Stück nach einem Heiner Müller-Text zu entwickeln.“ Da Ivo ein erfahrener Tänzer und Choreograf sowie Leiter des Sektors Tanz auf der Biennale Venedig ist, dürfte sich das Wagnis aber in Grenzen halten. Sein Tanz „Double“ soll vom Kampf gegen die Unterdrückung des Körpers durch religiöse Ideologien erzählen. Auch 2006 wird bei Unidram der Fest-Gedanke groß geschrieben. Und so gibt es neben anregenden, aufrührerischen, verrückten, verträumten Theaterstunden auch viel Musik, Partys und Workshops. Heidi Jäger
Anmeldung für Workshops: Klang und Rhythmus; Die Macht der Dinge – Wege zum Objekttheater; Berührungspunkte – Theater auf der Suche nach authentischer Darstellung, unter Tel. 71 91 39.
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