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Kultur: Zwischen Residenz und Garnison

„Städtebau und Herrschaft“ – Ein Buch zeigt, wer und was die Stadt Potsdam geschaffen hat

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Das Überraschende an dem Buch „Städtebau und Herrschaft. Potsdam: Von der Residenz zur Landeshauptstadt“ ist weniger das Plädoyer für die historische Mitte und dem städtischen Bekenntnis dazu. Das war vorhersehbar. Doch für die Autoren Harald Bodenschatz und Erich Konter ist es mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses allein nicht getan. Nach „Entresidenzialisierung“, „Republikanisierung“ und „Entmilitarisierung“ ist es nun an der Zeit, die „Zivilisierung der Stadt folgen zu lassen“. Ihr Buch, das am Mittwoch in Potsdam vorgestellt wurde, umkreist zwar ausgiebig das Historische und somit auch das Zentrum Potsdams mit dem Herzstück am Alten Markt. Ihr Blick aber umfasst die gesamte Stadt und somit auch deren städtebauliche Perspektive. Dabei muss es um eine „überzeugende, tolerante, weltoffene Perspektive für Potsdam jenseits von Residenz und Garnison“ gehen. „Das Ringen um den Sitz des neuen Landtages am Alten Markt ist nur ein Schritt auf diesem Weg“, so der letzte Satz in „Städtebau und Herrschaft“.

Es sind vor allem zwei Begriffe, die die Entwicklung von Potsdam in den Augen von Bodenschatz und Konter so deutlich machen: Residenz und Garnison. Diese gern als „Gesamtkunstwerk“, „Paradies“ und „Arkadien des Nordens“ bezeichnete Stadt hat ihre Bedeutung „ausschließlich als Ort der Herrschaft“ erlangt. Letztendlich ist Potsdam so nur das Produkt eines herrschaftlichen Willens. Den Anfang dieser politischen Stadtwillensentwicklung verorten Bodenschatz und Konter bei Kurfürst Friedrich Wilhelm, der zwischen 1657 und 1660 Potsdam und die Umgebung aus dem Besitz adliger Familien zurück erwarb und so, um ausgiebig seine Leidenschaft für die Parforcejagd frönen zu können, den Grundstein dafür legte, dass Potsdam „von einer amtsuntertänigen Landstadt zur Kurfürstlichen und Königlichen Residenz“ wurde. Unter seiner Ägide entstanden auch bis 1670 das (Stadt)Schloss im holländischen Stil und der dazugehörige Lustgarten.

Unter der Regierungszeit des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. von 1713 bis 1740 wurde Potsdam durch die ständige Erweiterung der Armee neben der Residenz- nun auch zur Garnisonstadt. In diese Zeit fallen auch die barocken Stadterweiterungen und der Bau der Stadtmauer, die nicht der Verteidigung diente, sondern die Desertion der Soldaten verhindern sollte. Bodenschatz und Konter sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Zwangsanstalt“, die Potsdam für die Soldaten war.

Unter Friedrich dem Großen wurde diese Militarisierung der Stadt stetig vorangetrieben, die nur aus diesem Grund wachsen konnte. Die Garnison beschränkte sich dabei nicht mehr auf den Raum innerhalb der Stadtmauern, sie beanspruchte immer mehr Platz auch außerhalb der Stadt. Im Gegensatz zu seinem Vater, dem Soldatenkönig, dessen Residenz das Stadtschloss war, verlor es unter Friedrich II. an Bedeutung. Denn dieser, orientiert an der französischen Hofkultur, ließ sich zuerst das Schloss Sanssouci und später das Neue Palais außerhalb von Potsdam bauen. Diese, im späten 18. Jahrhundert begonnene „einzigartige Polyzentralität“ prägte und beeinflusste auch die Baukultur in und um Potsdam bis zum Ersten Weltkrieg.

Das Todesjahr Friedrich des Großen, 1786, nennen Bodenschatz und Konter als Fixpunkt, an dem Potsdam den Charakter einer absolutistischen Residenz- und Garnisonsstadt ausgebildet hatte. Hier ist alles Zeichen herrschaftlicher Macht und Präsentation. „Die gesamte Stadt und die sie umgebende Landschaft sind Ansatzpunkt wie Produkt kurfürstlicher und königlicher Eingriffe. Die Stadtanlage bis zur Fassade jedes Bürgerhauses wird von oben bestimmt“, schreiben Bodenschatz und Konter. Und auch wenn in den kommenden Jahren Stagnation, aber auch Verfall immer stärker werden – der Höhepunkt ist 1806 mit dem Zusammenbruch des altpreußischen Staates erreicht –, bleiben Residenz und Garnison die prägenden Elemente dieser Stadt, ist Potsdam noch immer die „Kaserne“ Preußens. Kasernenanlagen außerhalb Potsdams werden weiter gebaut, die Hohenzollern residieren, mit gelegentlichen Ausflügen nach Berlin, weiterhin in Potsdam.

Es ist diese Zeit, die vor allem den städtebaulichen Charakter von Potsdam prägte. Eine Stadt, so Bodenschatz und Konter, die in erster Linie der Unterbringung von Soldaten diente, deren ständige Erweiterungen letztendlich immer nur den neu hinzukommenden Bataillonen geschuldet waren. Die zahlreichen Schlösser – wobei das Stadtschloss immer mehr an Bedeutung verlor – waren dabei die prachtvollen Zeichen eines Kunstwerkes, als welches die „absolutistische Stadt-Landschaft Potsdam“ unter Friedrich Wilhelm, Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. geschaffen worden war gemäß dem Motto von Johann Moritz von Nassau-Siegen aus dem Jahr 1664: „Das gantze Eyland muss ein Paradies werden.“

Seit 1945, mit der teilweisen Zerstörung des Stadtschlosses, dann verstärkt ab 1960, nach der Sprengung der Schlossruine, begann eine im Wortsinne katastrophale Suche nach einer neuen städtebaulichen Identität. Was 1989 von dieser Suche in der DDR übrig blieb, wo das historische Zentrum einer dem Autoverkehr verpflichteten Verkehrsplanung zum Opfer fiel, bezeichnen Bodenschatz und Konter treffend als das „Bild eines pragmatisch-chaotischen Provisoriums“. Die Leere, die den Platz des ehemaligen Stadtschlosses prägte, verwies „auf das Scheitern der Planungen zum Neuaufbau eines sozialistischen Zentrums an dieser Stelle“.

Harald Bodenschatz und Erich Konter zeigen mit „Städtebau und Herrschaft“, das auf eine Auftragsarbeit der Stadtverwaltung aus den 90er Jahren zurückgeht, in der es um die Entwicklung eines Standortes für die Landesregierung in Potsdam ging, auf welchen Grundlagen und Ideen die Stadt Potsdam sich entwickelt hat. Die einzelnen Kapitel sind übersichtlich gehalten und nicht mit unendlich vielem Detailwissen überladen. Die zahlreichen Abbildungen und gelb unterlegten Zusammenfassungen sorgen für Übersichtlichkeit in diesem komplexen Thema. Mit dem derzeitigen Wiederaufbau des Stadtschlosses ist eine Antwort auf die Leere am Alten Markt und ein Landtag für die Landesregierung gefunden. Der Verdienst von Bodenschatz und Konter liegt neben ihrer stringenten städtebaulichen Analyse vor allem in der Erweiterung des Blickfeldes. Nicht allein auf das Stadtschloss soll sich, wie in den vergangenen Monaten leider geschehen, die Diskussion beziehen. Es geht um die ganze Stadt. Doch was das betrifft, endet der Blickwinkel bei zu vielen an den Grenzen des Alten Marktes.

Harald Bodenschatz/Erich Konter: Städtebau und Herrschaft. Potsdam: Von der Residenz zur Landeshauptstadt, Verlag Dom publisher, Berlin 2011, 208 S., 80 Abbildungen und Pläne, 28 Euro

Dirk Becker

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