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Von Alexander Fröhlich: 530 Polizisten auf der Spur eines roten Autos

Wie die Ermittler – auch dank einer Zeugin – die Kindesentführung nach fast 14 Stunden beendeten

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Kleinmachnow/Potsdam - Die Nachbarin gab der Polizei den entscheidenden Tipp. Sie hat vom Fenster aus beobachtet, wie der 44-jährige Unternehmer Carsten W. am Donnerstagmorgen um 8 Uhr maskiert auf das Nachbargrundstück stürmt, wie er der Frau eine Sichel an den Hals hält und deren vierjährige Tochter kidnappt. Zurück ließ der Mann nur einen Brief, darauf steht „keine Polizei, keine Presse“ und 60 000 Euro Lösegeld.

Aber die Nachbarin merkte sich den Wagen des Entführers. Es ist ein roter Renault Clio, der ungewöhnlich sauber für diese Witterung und neu aussieht. Auch das Nummernschild notierte sich die Frau. Wie sich später herausstellt, ist es von einem Wagen der tschechischen Botschaft in Berlin gestohlen worden. Ihre Aussagen über den roten Wagen aber werden für den Erfolg der Polizei entscheidend sein. „Wir haben sofort die Fahnung nach dem roten Clio aufgenommen“, sagt Einsatzleiter Uwe Flemming. Unzählige Fahrzeughalter roter Clios wurden abgeklärt. „Sie können sich vorstellen, wie viele rote Clios die Kollegen plölzlich gesehen haben“, sagt der Einsatzleiter. Doch schnell wird klar, dass es ein Mietwagen ist.

Flemming hat am Morgen in Eiche, im Polizeipräsidium seinen Posten bezogen, es sind 50 Beamte, Spezialisten, selbst Polizeipräsident Rainer Kann, in der Einsatzzentrale. Es ist die erste große Bewährungsprobe für das neue Landes-Präsidium nach der Polizeireform. Bis zum frühen Abend tappen die Ermittler im Dunkeln. Die Polizei hat inzwischen viele Kräfte zusammengezogen. 530 Beamte sind im Einsatz, allein das Kernteam der Kriminalisten besteht aus 100 Ermittlern.

Um 18.22 Uhr meldet sich der 44-Jährige bei der Familie, um die Geldübergabe zu regeln. Er wird an diesem Abend noch zwei weitere Male anrufen, aus der Telefonzelle und aus einem Internetcafé. In der Einsatzzentrale hören sogenannte Profiler mit, Analytiker, die ein Profil des Täters erstellen. Es ist der Zeitpunkt, an dem sich die ersten Teile eines Puzzles ineinander fügen. Der Entführer beordert die Mutter mit dem Lösegeld über die A 12 in Richtung Polen nach Fürstenwalde (Oder-Spree). Wegen des im Vergleich zu anderen Entführungen geringen Lösegeldes will sich Einsatzleiter Uwe Flemming nicht auf Verhandlungen einlassen. „Priorität hatte das Leben des Kindes“, sagt er. Dem Mädchen gegenüber verhält sich der 44-Jährige offenbar vorsichtig. Es sitzt die ganze Zeit auf der Rückbank des Wagens. Der Entführer geht mit ihr spazieren, versorgt es mit Essen, hat sogar Spielzeug dabei. „Er hat das Kind betreut“, sagt Einsatzleiter Flemming. Später wird er die Tat bereuen, „über sich selbst ein gewisses Unverständnis“ äußern, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Junker sagt.

An der Abfahrt Fürstenwalde-West soll die 41-jährige Mutter, eine Steuerberaterin, die Reisetasche mit Geld von einer Autobahnbrücke werfen. Überall sind Zivilwagen der Polizei, ein Hubschrauber kreist in großer Höhe, die Observationsteams entdecken einen Wagen, der zur Beschreibung der Nachbarin passt: ein roter, sauberer Clio. Diesmal mit PM-Kennzeichen. Ein Wagen, gemietet irgendwo in Teltow, Stahnsdorf oder Kleinmachnow. Ob das Kind mit ihm Auto sitzt – die Fahnder erkennen es nicht. Sie folgen dem Clio.

Der Mann ruft erneut bei der Familie an, legt falsche Fährten, sagt, er lasse das Kind in Storkow frei, fährt hin und her, durchfährt Rastplätze, wechselt unerwartet die Fahrtrichtung. Er will sich sicher sein, dass er nicht verfolgt wird. Wird er aber.

Schließlich rast er nach Kleinmachnow, lässt dort das Kind frei. Ein Nachbar sieht es und bringt es zu seinen Eltern. Einsatzleiter Flemming gibt das Kommando: „Zugriff!“ Spezialkräfte der Polizei stoppen den Wagen, zerren den Mann aus dem Wagen. Er leistet keinen Widerstand. „Er hat wohl schon geahnt, dass wir nicht weit weg sind“, sagt Polizeipräsident Kann.

In der Einsatzzentrale in Potsdam-Eiche fällt danach die ganze Anspannung der fast 14 Stunden Ungewissheit von den 50 Männern und Frauen. Es stinkt in dem Raum, sagen Teilnehmer, nach Schweiß, Kaffee, Essen. Die Luft ist raus.

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