zum Hauptinhalt

Von Thomas Lähns: Abgebaut und fortgeschafft

1994 gaben die Russen zwei Tierskulpturen zurück an die Geltower. Zwei weitere werden jetzt gesucht

Stand:

Schwielowsee – Ihre Heimkehr hatte ganz Geltow bewegt: 1994 waren zwei Tierskulpturen des Bildhauers Stephan Walter nach fast einem halben Jahrhundert wieder an der Havel aufgestellt worden. Die beiden Wildkatzen standen einst wechselseitig an den Aufgängen zur alten Baumgartenbrücke, auf der jeweils anderen Seite befanden sich zwei Jagdhunde. Die Bronzefiguren hatte die Rote Armee nach dem 2. Weltkrieg abgebaut und fortgeschafft. Zufällig waren zwei davon vor dem Abzug der Russen aus dem wiedervereinigten Deutschland entdeckt worden. Jetzt gibt es Versuche, auch die beiden anderen zurückzuholen.

Ende April 1945 war der Krieg an den Schwielowsee gekommen. Tausende Soldaten waren auf den Weg nach Westen, um sich an der Elbe den Amerikanern zu ergeben. Der Tross, dem sich Frauen, Verwundete und Zivilisten aus Angst vor den Russen angeschlossen hatten, kam am 30. April in Geltow an und überquerte hier die Havel. Sowjetische Iljuschin-Kampfflugzeuge zogen ihre Kreise, und vom Caputher Krähenberg aus drang das Grollen der Artillerie herüber. Albrecht Herrmann war damals acht Jahre alt und hat alles aus nächster Nähe erlebt. Seine Familie betreibt seit 1826 die Gaststätte „Baumgartenbrück“.

Am 30. April um Punkt 15 Uhr sprengten die Deutschen die Baumgartenbrücke, um die Verfolger abzuhängen. Wer es bis dahin nicht geschafft hatte, versuchte hinüber zu schwimmen. Viele ertranken oder starben im Geschützfeuer. „Wir machten die Fenster auf, damit sie von der Druckwelle nicht zerstört werden“, berichtet Albrecht Herrmann heute. Die Mutter hatte ihm und seiner Schwester noch einmal Bratkartoffeln gemacht und sich mit den Kindern dann in den Keller zurückgezogen. Eine Stunde später standen die Russen vor der Tür.

Die Rote Armee schlug ihr Lager vor und in dem Haus der Herrmanns auf – für die kommenden Monate herrschte Ausnahmezustand. Die Soldaten feierten, tranken und ließen die Leute spüren, wer fortan das Sagen haben sollte. „Sie haben zum Beispiel mit Handgranaten Fische gefangen“, erinnert sich Herrmann. Und sie nahmen als Beute, was sich irgendwie transportieren ließ. Dazu gehörten auch die Skulpturen aus dem Jahre 1908.

Knapp 50 Jahre später, am Abend des 11. Januar 1994, sitzt die 73-jährige Geltowerin Friedel Schopp vor ihrem Fernseher. Im ORB-Fernsehen wird ein Bericht über den Abzug der russischen Streitkräfte aus ihrem Hauptquartier in Wünsdorf gezeigt. Es ist das erste Mal, dass sich die Kasernentore für ein Fernsehteam öffnen. Plötzlich stockt der Rentnerin der Atem: Bei einem Kameraschwenk taucht für Sekunden eine der Wildkatzen auf der Mattscheibe auf. Wie viele andere Geltower war auch Friedel Schopp als Kind auf den Tieren herumgeklettert und kennt sie deshalb genau. Sofort ruft sie bei Albrecht Herrmann an. Gemeinsam besorgen sie eine Aufzeichnung der Sendung und wenden sich an die Landesregierung. Nach monatelangen Verhandlungen gelingt es Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und dem Beauftragten des Landes für Konversion, Helmut Domke, die Russen zur Rückgabe der beiden Skulpturen zu überreden.

Anfang September werden die Wildkatzen am alten östlichen Brückenkopf aufgestellt. Von den Jagdhunden spricht indes niemand mehr. „1945 wurden alle vier Skulpturen nach Wildpark-West geschafft“, erzählt Albrecht Herrmann heute. Er kann sich noch an die Transportkisten erinnern, und später hätten Geltower Handwerker berichtet, die Figuren dort gesehen zu haben. Die Rote Armee hatte die heutige Treskow-Kaserne von der Wehrmacht übernommen und sie ausbauen lassen. Von dort aus müssen sie nach Wünsdorf gelangt sein. Während die Katzen nach der Wende ihren alten Platz zurückbekamen, dürften die Hunde heute irgendwo in Russland stehen.

In der Heimatstube im oberen Stockwerk des geschichtsträchtigen Restaurants Baumgartenbrück verwahrt Albrecht Herrmann manche Schätze – unter anderem Gemälde von den vielen Brücken, die hier einst die Havelufer verbunden haben. Aus dem Schrank holt er einen Ordner, den er zu den Tierskulpturen angelegt hat. Darin befinden sich auch von ihm geschossene Fotos der Jagdhunde: Eines zeigt eine Skulptur vor und ein weiteres zeigt sie nach der Sprengung der stählernen Brücke. Er hatte das Thema eigentlich schon zu den Akten gelegt – bis er und weitere Mitglieder des Heimatvereins im Dezember auf dem Weihnachtsmarkt in Wildpark West mit Saskia Ludwig ins Gespräch kamen.

Die Fraktionschefin der CDU im Landtag beschäftigt sich im Hinblick auf den Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses schon seit längerem mit dem Thema Beutekunst. Sie hat sich jetzt auch der Geltower Sache angenommen und die Landesregierung aufgefordert, sich mit Nachdruck für die Rückkehr der Jagdhunde einzusetzen. Die Skulpturen seien Beutekunst, die aufgrund des Völkerrechtes zurückgegeben werden müssten, argumentiert sie. Darüber hinaus hat Ludwig an den russischen Botschafter geschrieben und ihn gebeten, das Werk von Matwej Burlakow, dem letzten Oberkommandierenden der russischen Truppen in Deutschland, zu vollenden: Durch die Rückgabe der Hunde solle die deutsch-russische Freundschaft gefördert werden.

Allerdings ist unklar, ob die Russen überhaupt wissen, wo die Skulpturen abgeblieben sind. „Man müsste wahrscheinlich ganz von vorn anfangen, bei dem Offizier, der hier 1945 die Befehlsgewalt hatte“, schlägt Albrecht Herrmann vor. Er hat noch eine persönliche Widmung eines „N. Gerassimow“ im Schrank zu stehen. Auf russisch verlieh der Offizier darin seiner Hoffnung Ausdruck, dass nach den langen Kriegsjahren nun endlich Frieden für die nächsten Generationen herrschen werde. Allerdings sollten auch danach noch viele Geltower sterben: Manche wurden erschossen, andere nahmen sich aus Angst das Leben. Und noch Monate später wurden tatsächliche wie vermeintliche Volkssturmkämpfer abgeholt und nach Sachsenhausen gebracht. An verschollene Bronzeskulpturen konnte in diesen Tagen niemand denken.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })