Von Thomas Lähns: Abschied von den Ritualen
Die Bundeswehr ist im Umbruch. In Beelitz gelobten die letzten Wehrpflichtigen Treue und Tapferkeit
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Beelitz – Nein, Lennert Steihoff war nicht verärgert, als er vor einigen Monaten seinen Einberufungsbescheid bekam. „Ich habe mich gefreut, dass es losgeht“, sagt der junge Mann. Selbst als er in der Beelitzer Kaserne landete, über 600 Kilometer von zu Hause entfernt, blieb er enthusiastisch. Denn der gelernte Hotelfachmann aus dem württembergischen Ettlingen will seine Zeit bei der Fahne nutzen: Demnächst tritt er seinen Dienst als Servicekraft im Casino des Verteidigungsministeriums an. Die Arbeit im Bendlerblock werde sich gut im Lebenslauf machen, sagt er. Als einer der letzten Wehrpflichtigen legte Steinhoff gestern mit anderen Rekruten der Logistikbataillone 171 und 172 in Beelitz sein Gelöbnis ab.
Die härtesten vier Wochen haben sie hinter sich: Marschieren, Waffenausbildung, Unterricht und das Leben im Felde standen während der Grundausbildung auf dem Dienstplan. Entsprechend stolz stehen die gut hundert Schützen aus Burg und Beelitz – 18 von ihnen weiblich – auf dem Appellplatz: „Drei hintereinander, viele, viele nebeneinander“, wie man bei der Truppe sagt. Trotz der Februarkälte harren sie aus, den Blick nach vorn gerichtet. Als das Luftwaffenmusikkorps zu den Klängen von „Preußens Gloria“ Einzug hält, straffen sich die Gesichter. Wenige Minuten später dann der Kern des Zeremoniells: Sechzehn Rekruten treten vor und legen stellvertretend für ihre Kameraden die Hand auf die Fahne. Sie alle geloben, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen“ und das Recht und die Freiheit des Volkes „tapfer zu verteidigen“.
Es sind die letzten traditionellen Rituale einer Armee, die sich seit zehn Jahren im Umbruch befindet. Nach dem Ende des Kalten Krieges gehe es nicht mehr darum, Deutschlands Grenzen nach außen hin zu verteidigen, sondern um die Bekämpfung von Konflikten an der Wurzel, sagt die Bundestagsabgeordnete Andrea Voßhoff (CDU), die regelmäßig zu solchen Anlässen in Beelitz spricht. Die Bundeswehr ist zur Interventionstruppe geworden, die neuen Schlagworte sind Professionalität und Hightech – die Wehrbereitschaft der Nation ist nur noch ein Anachronismus. Die Wehrpflicht, so meinen viele bei der Truppe, ist mit dem Herabsetzen der Dienstzeit auf sechs Monate ohnehin überflüssig geworden.
Marcel Wandzioch und Maximilian Stockhaus sehen das anders: Die beiden Rekruten seien froh, sich für den Dienst an der Waffe entschieden zu haben, erzählen sie nach dem Gelöbnis. Der „Große Dienstanzug“ mit Stiefel, Mantel und Barett scheint noch etwas ungewohnt, doch beide recken die Brust heraus und verschränken die Arme auf dem Rücken. Werte wie Hilfsbereitschaft, Disziplin und die Sorge um den Nächsten würde man in der Gesellschaft kaum noch kennen – hier würden sie täglich praktiziert werden, sagen die beiden Soldaten. Schütze Wandzioch erwägt auch deshalb, Zeitsoldat zu werden. Sein Kamerad will die Dienstzeit zumindest bis zum Beginn des Studiums verlängern, sagt er.
Haben Soldaten wie Stockhaus und Wandzioch bislang während ihres Wehrdienstes Eindrücke sammeln können, um sich dann für eine Laufbahn als Offizier, Unteroffizier oder einfacher Soldat zu entscheiden, geht das künftig nicht mehr. Mit dem Ende der Wehrpflicht verliert die Bundeswehr ihr wichtigstes Nachwuchsreservoir. Und so ist die Truppe künftig angewiesen auf die wenigen, die sich aus Überzeugung freiwillig melden oder die vielleicht zahlreicheren, die den finanziellen Anreiz sehen.
Längst sind Konsequenzen in puncto Öffentlichkeitsarbeit gezogen worden: Immer öfter gehen die Kasernentore auch für zivile Besucher auf. Kontakte zur Gesellschaft werden vor Ort geknüpft und gepflegt. Diese Tendenzen will auch die Stadt Beelitz nutzen: Bei gemeinsamen Veranstaltungen, aber auch im Alltag. „Wir wollen Sie für ihre befristete Heimat interessieren und sie möglicherweise sogar an Beelitz binden“, erklärt Bürgermeister Bernhard Knuth in der Feierstunde im Anschluss an das Gelöbnis. Knuth spricht von einer „untrennbaren Verbundenheit“ zwischen Stadt und Truppe – und das seit der ersten Stationierung preußischer Husaren vor knapp 300 Jahren in der Stadt. Tradition und Partnerschaft wollen er und Bataillonskommandeur Boris Nannt pflegen – damit das Ende der Wehrpflicht nicht das Ende des Beelitzer Bundeswehr-Standortes bedeutet.
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