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Schwenken, schauen, riechen, schmecken: In der Muckerstube wird die Obstweinprobe zum Fest für die Sinne. Die Jury muss insgesamt 113 verschiedene Proben von 20 Obstbauern kosten  die Geselligkeit stellt sich bald von selbst ein.

© Thomas Lähns

Von Thomas Lähns: Akkordarbeit im Zentiliter-Takt

Wessen Wein ist reif für die Goldene Kruke? Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Stadtleben kosten

Stand:

Werder (Havel) – Die Jury muss trinkfest sein. Schwenken, Schauen, Riechen, Schmecken – und schon wird das nächste Glas gefüllt. Es ist Akkordarbeit im Zentiliter-Takt, die an diesem Mittwochabend in der Werderaner Muckerstube geleistet wird. Um drei Tische haben sich erlesene Sechser-Gruppen versammelt: Lokalpolitiker, Obstbauern, Vertreter aus Wirtschaft und Stadtleben. Ihre liebliche Mission: Werders beste Obstweine zu prämieren. 113 Proben von 20 verschiedenen Produzenten sind in diesem Jahr eingereicht worden, so viel wie schon lang nicht mehr. Die Gewinner der goldenen, silbernen und bronzenen Kruke in sechs Kategorien sollen beim Blütenball auf der Bismarckhöhe am 23. April ausgezeichnet werden – um dann in der Festwoche mit dem Verkauf in die Vollen zu gehen.

Noch ist es recht still an den Tischen, denn über die Weinproben darf nicht geredet werden: Jeder soll unvoreingenommen probieren können. Konzentriert halten die Juroren ihre Gläser in die Höhe und prüfen die Weine auf Farbe und Reinheit. Allein dafür sind je bis zu vier Punkte möglich. Jeder vermerkt seinen individuellen Eindruck auf der Punkteliste. „Ein guter Obstwein sollte klar sein, aber nicht jeder bekommt es hin“, erläutert Weinbauer Manfred Lindicke. Mit seiner Tochter Katharina, Chefin der Straußwirtschaft „Weintien“ auf dem Wachtelberg, und Obstbauvereinschef Walter Kassin hat er das Einschenken übernommen. In Minutenabständen eilen die drei zu ihren Tischen und kippen nach, wobei sie die Etiketten auf den Flaschen sorgfältig mit einer Serviette verdecken.

Weitere Bewertungskriterien sind das Bukett und der Geschmack, wofür bis zu fünf beziehungsweise sieben Punkte vergeben werden können. Aber es ist Vorsicht geboten, mahnt Manfred Lindicke. Denn es sei schon vorgekommen, dass Obstbauern ihren Wein mit Likör versetzt haben – um den Geschmack zu verstärken. Und so wird noch genauer abgeschmeckt, wobei längst nicht jedes Glas vollständig geleert wird – bei 113 Proben wäre das selbst den tapfersten Weintrinkern zu viel. Die Reste werden in einen der Tonkrüge gekippt, welche die „Muckersche“ Heidemarie Garbe in regelmäßigen Abständen abräumt. Auf den Tischen stehen zudem Wasser, Käse und Brot, um die Geschmacksnerven nach jeder Probe wieder zu neutralisieren.

Allmählich wird es gesellig in der Muckerstube, die mit ihren restaurierten Möbeln und historischen Bildern bei Kerzenschein den Charme alter Obstbauzeiten versprüht. Bauer Stephan Hübner verlangt ein neues Glas, „weil man bei den ganzen Fingerabdrücken keine Reinheit mehr erkennen kann“, Blütenkönigin Maria Lemke erzählt, wie sie trotz der Vorbereitungen auf die Festwoche die Abi-Prüfungen packen will und von Tisch drei ertönt die böse Unterstellung: „Wenn Walter wenig einschenkt, schmeckt ihm der Wein wohl selbst ganz gut.“ Kassin quittiert das mit einem Lachen. Trotz des stressigen Pendelns zwischen den Tischen ist er fröhlich und entspannt. Nach seiner Pensionierung im vergangenen Jahr haben die Obstbauern den ehemaligen Stadtmarketing-Chef an ihre Spitze gewählt. Mit seiner Erfahrung will er für eine noch bessere Vermarktung der Havelfrüchte sorgen, sagt er. „Wir haben Berlin und Potsdam vor der Haustür, aber darauf darf man sich nicht ausruhen.“ Kassin ist selbst Aushängeschild für den Verband, allein durch den Familiennamen. Seine Vorfahren, im 17. Jahrhundert als Hugenotten zugewandert, haben den Weinbau nach Werder mitgebracht und später dann Obst angebaut. Walter Kassin selbst arbeitete bis zur Wende in der hiesigen GPG Obstproduktion, führte hier den Paprikaanbau ein und kam in den 90ern über die Kommunalpolitik in die Stadtverwaltung.

Als weitere Verpflichtung nennt Kassin die Traditionspflege – genau das passiert hier an diesem Abend in der Muckerstube. Denn mit den Auszeichnungen werden die Obstbauern ermutigt, trotz harter Arbeit und niedriger Absatzpreise am Gewerk festzuhalten. Dafür lohnt es sich, besonders genau ins Glas zu schauen.

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