Potsdam-Mittelmark: Alle Jahre wieder
Am 23. Dezember 1893 erklang zum ersten Mal Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“
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Am 23. Dezember 1893 erklang zum ersten Mal Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ Stahnsdorf. Als Hans Hötzendorffer zum ersten Mal „Hänsel und Gretel“ als Oper erlebte, war er sechs Jahre alt. „Meine Mutter ist jedes Jahr mit mir in die Oper gegangen“, erinnert sich der heute 78-Jährige, der seinen Lebensabend im Kleinmachnower Augustinum verbringt. Der Besuch der Aufführung war auch immer ein familiärer Gedenktag: Hötzendorffers Großvater war kein anderer als Engelbert Humperdinck, dem Komponisten der erfolgreichsten deutschen Märchenoper. An Weihnachten dachte Engelbert Humperdinck zunächst nicht, als er die ersten Klangstücke für „Hänsel und Gretel“ komponierte. Es war im wonnigen Mai 1890 als er zu dem Vorhaben animiert wurde, die Grimm’sche Vorlage zu vertonen. Humperdincks Schwester Adelheid Wette hatte die Märchentexte etwas umgeschrieben und den Komponisten gebeten, sie zu vertonen – das Ergebnis sollte als Überraschung zum Geburtstagsfest ihres Mannes im Kreis der Familie aufgeführt werden. Die Verwandten waren nach der Aufführung derart angetan, dass sie Humperdinck zu einer größeren Singspielfassung drängten. Im Herbst 1890 entschloss sich der damals 46-Jährige, die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ zu komponieren. Sie sollte Humperdincks größter Erfolg werden. Vor 110 Jahren, einen Tag vor dem Weihnachtsfest 1893, wurde unter Leitung von Kapellmeister Richard Strauss die Oper in Weimar zum ersten Mal aufgeführt. Heute ist es die Oper, die mit Weihnachten stets in einem Atemzug genannt wird. Wenn heute die Bedeutung des Stahnsdorfer Südwestkirchhofes unterstrichen werden soll, zählt neben Zille, Breitscheid und Siemens ein Name zu den meist und zuerst genannten: Engelbert Humperdinck. 1921 fand der Komponist hier seine letzte Ruhestätte. Wie viele Berliner wurde er auf der weitläufigen Begräbnisstätte vor den Toren der Stadt beigesetzt – der Südwestkirchhof war nicht zuletzt wegen des Platzmangels in der Metropole im Auftrag der Berliner Stadtsynode in Stahnsdorf angelegt worden. Viele Jahre pflegte sein Enkel Hans das Grab mit dem imposanten Granitstein, auf dem eine kleine Gravur die Handschrift des Stahnsdorfer Steinmetz Fiebiger verrät. Inzwischen ist Humperdincks letzte Ruhestätte ein Ehrengrab des Landes Berlin, das die Pflege übernommen hat. Als der Landkreis Potsdam-Mittelmark für seine Musikschule einen Namen suchte, spielte die Stahnsdorfer Note, die mit dem Komponisten verbunden wird, eine entscheidene Rolle: Heute musizieren die Nachwuchskünstler unter dem Namen „Engelbert Humperdinck“. Die 16 Jahre vor seinem Tod hatte Humperdinck in Berlin gelebt, wo er an der königlichen Akademie der Künste die Meisterklasse für Komposition leitete. In der Waltharienstraße in Wannsee bewohnten er und seine Frau eine Villa. Letztere, Hedwig Taxer mit Namen, markiert gewissermaßen eine Etappe auf dem Weg von „Hänsel und Gretel“ vom kindlichen Singspiel bis zur deutschen romantischen Märchenoper. Denn dazwischen fertigte Humperdinck eine Klavierfassung als Verlobungsgeschenk an seine zukünftige Frau. „Natürlich hat das musikalische Schaffen meines Großvaters die Familie geprägt“, sagt Hans Hötzendorffer. Er selbst lernte mit sechs Jahren Klavier spielen, mit neun Cello. Eine der „wundervollsten“ Passagen in „Hänsel und Gretel“ ist für Hötzendorffer der „Abendsegen“: Die verirrten Kinder legen sich im Wald zur Nachtruhe und beten eng umschlungen den Abendsegen – das religiöse Leitmotiv der Oper. Wie oft sie die Aufführung von „Hänsel und Gretel“ gesehen hat, kann Eva Humperdinck „beim besten Willen“ nicht sagen. Die Enkelin des Komponisten, die als einzige noch den Namen Humperdinck führt, erlebte als Kind das Werk ihres Großvaters alle Jahre wieder: Ihr Vater war Opernregisseur in Leipzig und nahm sie zu jeder Vorstellung mit. Kennen gelernt hat sie – ebenso wie ihr Vetter – ihren bekannten Vorfahren nicht. Doch mit seinem Leben und Schaffen hat sich Eva Humperdinck, die als Marienschwester in Koblenz lebt, in elf Publikationen beschäftigt. Ihr 12. Buch kommt im kommenden Jahr, zum 150. Geburtstag Engelbert Humperdincks, in die Läden. Ein Jahr nach der Uraufführung hatten fast 50 Bühnen die Oper gespielt, innerhalb von zwei Jahrzehnten wurden Humperdincks „Hänsel und Gretel“ in der ganzen Welt bekannt und in 20 Sprachen übersetzt. Mit den neuzeitlichen Inszenierungen geht Eva Humperdinck jedoch recht kritisch um. „Heute scheuen sich die Regisseure, Engel auf die Bühne zu bringen. Stattdessen tanzen Eisbären um einen Weihnachtsbaum“. In der Deutschen Oper Berlin steht „Hänsel und Gretel“ in diesem Jahr wieder auf dem weihnachtlichen Spielplan. Am 26. Dezember – 110 Jahre nach der Uraufführung – erfreut das Werk das Opern-Publikum auf traditionelle Weise: Engel umgeben die Kinder und beschützen sie in ihrem Schlaf. Humperdincks Enkel wird nicht dabei sein. „Hier im Haus gibt es richtig Stress“, begründet er. Hötzendorffer und seine Frau leiten den Chor, den sie im Kleinmachnower Augustinum gegründet haben. Peter Könnicke / Gerhard Petzholtz
Peter Könnicke, Gerhard Petzholtz
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