Potsdam-Mittelmark: Alte Pfade, neue Wege
In Kemnitz wird darüber gestritten, wer auf das Rittergut darf / Die Kommune hat schlechte Karten
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Werder · Kemnitz - Das Rittergut Kemnitz ist über 650 Jahre alt. Die letzten 61 Jahre seiner Geschichte verliefen turbulent: Sie führten vom Gutsherren von Britzke zur LPG Morgenrot, vom Grafen Lund aus Schweden zum Fabrikanten Gerhard F. Fox. Fox ist Geschäftsführer der Pektinfabrik „Herbstreith & Fox“ mit Dependance in Kemnitz und hat vor einem halben Jahr das Herrenhaus des Ritterguts mit der wunderbaren Seewiese davor erworben. Das Kemnitzer Restaurant „Zum Rittmeister“ gehört ihm auch schon, und für die Pektinfabrik, abgelegen vom Dorfkern, wurden Erweiterungsflächen gekauft. Vielleicht, so überlegt Gerhard Fox, will er ja hierher ins Märkische ziehen aus Württemberg mit den Seinen. Aber vielleicht auch nicht.
Sein Land ist es, so steht es im Kaufvertrag des Herrenhauses. Und so steht es seit zwei Tagen auch auf Pappschildern, die an Strippen hängen, über denen gelbe Lampen blinken: „Privateigentum.“ Mancher Kemnitzer, und das ärgert Gerhard Fox, sieht es anders: Denn seitdem der alte Britzke von den Russen enteignet wurde – die über 80-jährige Edit Michaelis kann sich noch daran erinnern – konnte Jedermann den Weg vom Eingang des Gutes am Rand der Seewiese hinunter zum Plessower See nutzen. Als Abkürzung zum Friedhof, als Panoramaweg, als Verbindungsstück zum Rundweg um den Plessower See
Als das Rittergut – das Herrenhaus und auch die dahinter liegenden Wirtschaftsgebäude, Ställe, Lagerhäuser und Schober – 1993 von der Treuhand und der Gemeinde an einen schwedischen Investor verkauft wurde, war das Wegerecht Bestandteil des Kaufvertrags. Wie die Löwen habe man darum gekämpft, erinnert sich der frühere Gemeindevertreter Rudi Engelmann. „Das ist hier doch der einzige schöne Seeblick, den wir in Kemnitz haben.“ Auf Karten ist der Rundweg um die Halbinsel, auf der sich das Gut befindet, noch eingezeichnet.
Doch Graf Lund verkaufte seine „Rittergut Wohnen und Wirken GmbH“ an eine Luxemburger Anlegergesellschaft weiter, nachdem in und an den Wirtschaftsgebäuden 53 schicke Wohnungen entstanden waren. Das Wegerecht galt nur, bis die Luxemburger bald die Hälfte der Wohnungen – fast alle mit Seeblick – an Private verkauften. Den Rest vermietet die Rittergut GmbH selbst, will sie aber demnächst im Paket ebenfalls veräußern. Dann ist der alte Vertrag passé.
Die Sache mit dem Wegerecht ist nicht so einfach, einen Grundbucheintrag hatte die vom Amt Werder verwaltete Gemeinde damals versäumt. „Das war im Kaufvertrag nicht vereinbart, dass das Offenhalten der Wege weitergegeben werden muss“, sagt Horst König, Bevollmächtigter der Rittergut GmbH. Die Gemeinde habe da wohl geschlafen. „Aber warum sollen wir eine Verpflichtung, die nur für unseren Teil der Abmachung gilt, anderen aufbürden“, fragt er?
Der jüngste Verkauf der Rittergut GmbH war das Herrenhaus. Im Vertrag von Gerhard F. Fox steht nichts vom dem Wegerecht, wie auch nicht in den Verträgen der anderen neuen Eigentümer. Dass Fox jetzt festgetretene Pfade versperrt, ärgert sogar einige andere Bewohner des Ritterguts, die den Spazierpfad genauso nutzten wie Besucher oder andere Kemnitzer. Aber eigentlich geht es ihnen ja genauso wie Fox: Auch Lieselotte Radfahl oder Edit Jacobi fühlen sich gestört, wenn die Nasen von Touristen an ihren Wohnzimmerscheiben kleben, Fußbälle ihre Stauden drangsalieren und Dieselabgase auf die Terrassen pusten.
Schon vor drei Jahren wurde am alten Eingang des Guts ein Eisengittertor gebaut. Die Eigentümerbeirat hat beschlossen, das Tor jetzt auch zu schließen. Nebenan ist ja noch eine Tür. Das Tor wäre eine psychologische Sperre für Touristen, Eingeweihte könnten ja noch durch die Tür aufs Rittergut, wo dann allerdings der letzte öffentliche Weg über die Foxsche Seewiese versperrt wäre.
Der Kemnitzer Ortsbürgermeister Joachim Thiele ist damit nicht einverstanden. Viel Einfluss hat er in seiner Funktion aber nicht. Er hat sich Feinde bei den Eigentümern gemacht, weil er auf die öffentliche Zugänglichkeit des Ritterguts besteht. Und er hat rein rechtlich schlechte Karten, wie ihm aus der Stadtverwaltung Werder (Havel) erklärt wird. Weil mit dem Tor auch der Wendehammer der Seestraße versperrt wäre, kann die Stadt immerhin dessen Schließung verbieten. Auch wenn sich der Wendehammer auf dem Gutsgelände befindet, ist er öffentlich gewidmetes Straßenland. Thiele freute sich, dass der Bauausschuss kürzlich dieser Ansicht folgte. Doch die Fronten haben sich noch verhärtet.
„Wir sind für eine vernünftige Lösung offen“, sagt der Chef des Eigentümerbeirats, Michael Krause. „Aber wenn von Seiten der Kommune keine Kompromissbereitschaft da ist, werden wir die diesseitigen Rechte ausschöpfen.“ Gerhard Fox hat sogar einen Baumstamm vor den Weg an der Seewiese legen lassen. Als gestern die Presse kam, war der Baumstamm beiseite geschafft. Gestern fielen bei einem zufälligen Zusammentreffen vor Ort zwischen Fox und Thiele scharfe Worte. Schließlich war sehr vage von einem möglichen Kompromiss die Rede: Das Tor darf geschlossen werden, ein drei Meter breiter Weg auf dem Fox-Grundstück bleibt, wenn die Kommune bezahlen kann.
Mancher Kemnitzer Ortspolitiker fühlt sich heute betrogen – durch wen ist kaum noch auszumachen. Verprellt man deshalb einen Mann wie Gerhard Fox? So wie früher kann es auf dem Rittergut Kemnitz jedenfalls nicht mehr werden. So wie ganz früher vielleicht auch nicht.
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