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Ist ein Autofahrer als Rentner noch fit genug? In der Regel schon, meinen Experten. Aber Vorsicht vor Selbst-Überschätzung.

© dpa

Potsdam-Mittelmark: Am Steuer ohne Schreckmomente

Unfallrisiko Alter? Immer mehr Senioren fahren Auto. Der ADAC rät ihnen, die Fitness zu überprüfen

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Region Teltow - Jutta Neißer fährt wieder Auto. Erst ein paar Wochen ist es her, dass die 65-Jährige den Wagen von ihrem Schwiegervater übernommen hat. Der ist 86 und hat sich das mit dem Auto überlegt. Jutta Neißer auch. „Ich bin nicht die perfekte Fahrerin“, sagt die Teltowerin. Natürlich gab es nach so einer langen Autopause die eine oder andere Schrecksekunde. Man guckt nach rechts, nach links und trotzdem war da plötzlich ein Radler. „Zum Glück ist nichts passiert.“

Damit das so bleibt, will die Seniorin vorsorgen. Viermal im Jahr bieten die Seniorentreffs in der Region Teltow und unregelmäßig in Werder (Havel) Verkehrsschulungen an. Ein Angebot mit Hintergrund: Der demografische Wandel macht vor dem Straßenverkehr nicht Halt. Immer mehr Ältere sind mit dem Auto unterwegs, auch weil es in abgelegenen Orten kaum Alternativen gibt. Das steigere das Unfallrisiko, warnt jetzt der Allgemeine Deutsche Automobilclub ADAC.

„Mit zunehmendem Alter stellen wir eine Abnahme der Fahrleistung fest“, erklärte Izabela Grzywacz, Sprecherin des ADAC Berlin-Brandenburg, gegenüber den PNN. Entsprechend nehme der Anteil von Unfallverursachern ab 70 Jahren zu. Besonders drastisch steige das Unfallrisiko ab 75 Jahren. Der Verkehrsclub rät Rentnern deshalb zur freiwilligen Selbstüberprüfung. Senioren sollten ein Bewusstsein für die Verantwortung entwickeln, die sie als Autofahrer tragen.

„Man sagt immer, man fährt noch ganz sicher, aber erwischt sich dann manchmal doch und fragt sich, was hast du da gemacht?“, erzählt Jutta Neißer. Einen Stinkefinger habe ihr der Radler gezeigt, dem sie die Vorfahrt genommen hatte. Damit es nicht noch mal so einen Schreckmoment gibt, sitzt die Rentnerin nun beim Seniorentreff zur Verkehrsschulung.

Der vorläufigen Unfallstatistik des Landes Brandenburg nach waren im vergangenen Jahr an insgesamt 8280 Autounfällen mit Personenschaden 1115 Fahrer im Alter von über 65 Jahren beteiligt. In etwa 60 Prozent der Fälle galten sie als Hauptverursacher. Im Vergleich zum Jahr 2011 sind die Zahlen leicht gesunken. Bei Blechschäden hingegen waren Senioren öfter schuld. Waren sie in so einen Crash verwickelt, galten sie in rund 70 Prozent der Fälle als Verursacher.

Das Brandenburgische Innenministerium sieht in den autofahrenden Rentnern aber kein Sicherheitsproblem, sagte Sprecher Wolfgang Brandt. Gemessen an der Gesamtzahl seien Senioren nur für rund 12 Prozent aller Verkehrsunfälle verantwortlich, ähnliche Werte werden auch für junge Fahrer gemessen, obwohl es davon deutlich weniger gebe.

Im Teltower Bürgerhaus lauschen die Senioren indes dem Vortrag von Verkehrslehrer Ingolf Bittroff: Nicht nur mit dem Auto seien 85 Prozent aller Senioren unterwegs, sondern 36 Prozent mit dem Fahrrad. Einem Radler dürfe man nicht die Vorfahrt nehmen, selbst wenn er auf der falschen Seite der Hauptstraße unterwegs ist, lehrt Bittroff.

Einige Ältere würden ihre Kräfte nicht nur hinter dem Steuer, sondern auch auf dem Drahtesel unterschätzen oder Verkehrsregeln ignorieren: „Dürfen sie mit dem Rad über den Zebrastreifen fahren?“, fragt Bittroff. Nein, darf man nicht. Nur schieben ist erlaubt.

Doch so weit kommt es für viele Rentner gar nicht. Beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub ADFC in Brandenburg wünscht man sich, dass mehr Senioren aufs Rad steigen, sagt Geschäftsführerin Lea Harting. Viele hätten Bedenken. Entweder sind Radwege nicht vorhanden oder sie haben Löcher. „Ältere oder Schwächere schreckt das ab.“

Also doch lieber ins sichere Auto steigen? „Mancher ist mit 60 Jahren schon nicht mehr in der Lage, ein Auto zu führen, andere sind mit über 80 noch fit wie ein Turnschuh“, sagt Verkehrslehrer Bittroff. Ob man im Alter noch fahren könne, könne man eben nicht am Alter festmachen, sagt der 64-Jährige. Das hängt allein von der körperlichen Verfassung ab. Deshalb redet Bittroff den Senioren ins Gewissen: Ein Check beim Arzt bringt Klarheit. Und noch eine Zahl hat der Verkehrslehrer parat: 67 Prozent der Rentner würden ihren Führerschein abgeben, wenn der Arzt ihnen dazu rate. Doch viele fragen ihren Mediziner erst gar nicht.

Sollten sie aber, sagt ADAC-Sprecherin Izabela Grzywacz. Das gelte selbst, obwohl viele kleinere Altersschwächen mit Routine kompensieren können. Einen verpflichtenden Gesundheitscheck, wie er öfter diskutiert wurde, lehne der ADAC aber ab. So ein Test sei nur eine Momentaufnahme. Zwei Tage später könne die Verfassung des einzelnen Fahrers eine ganz andere sein.

Die Teltower Rentnerin Jutta Neißer hält trotzdem viel von solchen Tests. „Ich würde es gutfinden, wenn man ab 65 einen Reaktionstest einführt.“ Auch von der Idee, sich vom Fahrschullehrer oder einem Fahrsicherheitstrainer begleiten zu lassen, ist sie begeistert. Bei der nächsten Verkehrsschulung will sie als neue alte Autofahrerin ohnehin wieder dabei sein.

Nächste Verkehrschulung: am heutigen Mittwoch um 14 Uhr im Kleinmachnower Seniorentreff „Toni Stemmler“, Hohe Kiefer 41

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