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Mehr Abschiebungen. Die Zahl der abgelehnten Asylsuchenden in diesem Jahr ist laut Bundesinnenministerium deutlich höher als in den Vorjahren.

© Christian Charisius/dpa

Potsdam-Mittelmark: Angst vor Bulgarien

Zwei syrischen Flüchtlingen aus Teltow droht die Abschiebung. Das Verfahren wird kritisiert

Von Eva Schmid

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Teltow - Das Warten macht ihn fast verrückt. Seit Wochen wartet er, von Tag zu Tag steigt die Anspannung. Jederzeit könnte Mohammed Saado aus Teltow abgeholt werden, ihm droht die Abschiebung. Der 24 Jahre alte Flüchtling aus Syrien soll zurück nach Bulgarien, in das Land, über das er im vergangenen Jahr in die EU eingereist ist. Für sein Asylverfahren sei nicht Deutschland zuständig, wurde ihm erklärt. Auch ein weiterer syrischer Mitbewohner aus dem Männerwohnheim soll nach der sogenannten Dublin-Verordnung wieder nach Bulgarien zurückgeschickt werden. Der junge Mann wird derzeit in einer Psychiatrie in Potsdam behandelt, er hat das Warten nicht mehr ausgehalten und ist zusammengebrochen.

Das Schicksal der beiden Männer ist kein Einzelfall. Saado und sein Freund wurden nach eigenen Angaben in Bulgarien gezwungen, Fingerabdrücke abzugeben und Dokumente zu unterschreiben, die sie nicht verstanden. „Das geht vielen anderen Syrern auch so, aber trotzdem werden sie dorthin nicht wieder abgeschoben“, so die Leiterin des Teltower Männerwohnheims, Doreen Düring. Daher wirke das Vorgehen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) willkürlich. Auch beim Flüchtlingsrat in Brandenburg ist man verwundert über die Abschiebung: „Die informelle Umgangsweise beim BAMF ist derzeit, dass Syrer nicht ins Dublin-Verfahren kommen“, so Flüchtlingsrat-Sprecherin Ivana Domazet. Das liege an den vielen Fällen, die das Bundesamt zu bearbeiten hätte, „daher werden Flüchtlinge aus anderen Ländern prioritär behandelt“.

Kritik kommt vom Flüchtlingsrat zum Abschiebeverfahren: Denn in dem sogenannten Dublin-Verfahren, das regelt, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist, herrschen enge Fristen. „Nachdem der Abschiebebescheid ergangen ist, hat der Antragssteller nur eine Woche Zeit, dagegen zu klagen.“ Dafür muss ein Anwalt einen Eilantrag bei dem zuständigen Verwaltungsgericht einreichen, um die sofortige Abschiebung zu verhindern. „Bis der Bescheid, der oft an die Heimleitung geschickt wird, beim Asylbewerber landet, vergeht Zeit“, so Domazet. Zudem müsse auf die Schnelle auch ein Anwalt gesucht werden. Wer nicht rechtzeitig klagt, könne innerhalb von sechs Monaten in das EU-Mitgliedsland überstellt werden.

Mohammed Saado hat über die Teltower Heimleitung eine Berliner Anwältin eingeschaltet. Sie hilft vielen der Teltower Flüchtlinge ehrenamtlich. Die Chancen, dass Saado bleiben kann, schätzt sie als gut ein. „Die Möglichkeit besteht, dass sein Bescheid rechtswidrig ist“, so Anwältin Melanie Heller. Denn eine Abschiebung nach Bulgarien ist umstritten. So hat die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Sommer dieses Jahres erklärt, dass Flüchtlinge nur nach vorheriger Einzelfallprüfung in das ärmste Mitgliedsland der EU überstellt werden dürfen. „Das ist im Fall von Saado und seinem Freund aber nicht passiert“, so Heller.

Vom deutschen Rechtssystem und dem Erfolg seiner Klage versteht der junge Syrer wenig. Er weiß nur, dass er nicht zurück will – weder nach Syrien noch nach Bulgarien. „Ich lebe hier in Freiheit und will hier bleiben“, sagt er auf Englisch. Saado versteht nicht, wieso das Bundesamt nicht wissen will, was ihm in Bulgarien widerfahren ist. „Wir sind zu Fuß fünf Tage lang von der türkisch-bulgarischen Grenze Richtung Sofia gelaufen, weil die Schleuser uns nicht abgeholt haben.“ Dann wurde die 18-köpfige Flüchtlingsgruppe von der Polizei aufgegriffen. Sie kamen ins Gefängnis – illegale Einreise ist in Bulgarien eine Straftat –, wurden angeschrien und geschlagen. „Zu essen gaben sie uns nur wenig Brot“, sagt Saado. Nach ein paar Tagen brachte man sie in ein Flüchtlingsheim, die Zustände dort sollen katastrophal gewesen sein. Es gab keine Duschen, wenig Essen und es war kalt – „schlimmer als im Gefängnis“, sagt der junge Syrer. Nach elf Tagen ist er freiwillig wieder zurück in die Türkei gegangen, von dort hat er es im Stauraum eines Lasters geschafft, nach Deutschland zu kommen.

Erst Anfang des Jahres hat der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) die unmenschliche und erniedrigende Behandlung von Flüchtlingen in Bulgarien angeprangert und einen Stopp für Abschiebungen in das Land gefordert. Im April aktualisierte der UNHCR seinen Bericht, in der Zwischenzeit hat Bulgarien mit EU-Geldern versucht, die Situation zu verbessern, daher sei die „generelle Aussetzung der Überstellungen“ nicht mehr gerechtfertigt. Und seitdem versucht Deutschland dorthin auch wieder abzuschieben, kritisiert Saados Anwältin, Melanie Heller.

Sollte Mohammed Saado wirklich abgeschoben werden, will er nicht zurück nach Bulgarien. Die Hoffnung auf ein Leben ohne Angst, Krieg und Demütigung schwindet bei ihm mit jedem weiteren Tag des Wartens. „Ich gehe lieber nach Syrien zurück, dort stirbt man schneller – in Bulgarien stirbt man langsam.“

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