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Potsdam-Mittelmark: „Arm schämt sich“

Ausgrenzung von Kindern aus Hartz-IV-Familien hat viele Formen / Diskussionsrunde in Werder

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Werder (Havel) - Der junge Vater war am Verzweifeln: Wochenlang hatten sich der Arbeitslosengeld-Empfänger und seine Frau um einen Krippenplatz für die gemeinsame Tochter bemüht – damit das Kind unter Gleichaltrige kommt und die Eltern Zeit für die Jobsuche haben. Deshalb waren sie auch im Sommer von Berlin nach Werder gezogen. Da die Tagesstätten in diesem Jahr jedoch besonders voll waren, gab es für das Kind keinen Platz mehr – und ein Rechtsanspruch bestand nicht. Deutlicher könne die Ausgrenzung kaum sein, findet der Mann.

Das ist nur einer von vielen Nachteilen, unter denen Kinder aus Hartz-IV-Familien zu leiden haben. Auf einer Diskussionsrunde zum Thema „Kinderarmut“, zu der die Gesellschaft für Europa- und Kommunalpolitik (Geko) und der Verein Job e.V. am Donnerstagabend eingeladen hatten, war trotzdem kaum ein Betroffener anwesend – bis auf den einen. „Arm schämt sich“, spitzte Referent Hans-Peter Hubert von der Geko das Problem zu. Denn dass es in den Familien an materiellen Dingen fehlt, sei nur die eine Seite – die andere sei die soziale Ausgrenzung.

Kinder treffe es hart, „wenn man dabei sein möchte, es aber nicht kann“. Als Beispiel nannte Hubert Klassenfahrten oder neue Turnschuhe für den Sportunterricht. „Kinderarmut entsteht aus Elternarmut, wenn diese die Folgen nicht abfangen können“, resümierte er. Statistiken zeigen, wie ernst die Lage ist: Über 34 000 Kinder in Brandenburg würden in „Bedarfsgemeinschaften“ leben. Und fast 17 Prozent aller Unter-Sieben–Jährigen im Land seien armutsgefährdet.

Von politischer Seite werde schon jetzt einiges getan, hieß es in der Runde: 98 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen im Land hätten heute einen Betreuungsplatz, sagte die Landtagsabgeordnete Susanne Melior (SPD). Seit kurzem werden außerdem Sprachstandstests in den Kitas durchgeführt, die für ein einheitliches Niveau bei Schulanfängern sorgen sollen. Seit wenigen Monaten gibt es zudem das Schüler-Bafög: Mit monatlich bis zu 100 Euro greift das Land Abiturienten aus ärmeren Familien unter die Arme. 1600 Anträge seien bereits eingereicht, 1000 davon bewilligt worden, so Melior. Und schließlich könne man sich auch über den Schulsozialfonds Lernmaterialien oder Kurzausflüge bezuschussen lassen.

Bei den Kreisverwaltungen seien die Möglichkeiten begrenzt, schätzte Bodo Rudolph, Leiter des mittelmärkischen Jugendamtes. Seine Behörde könne meist erst etwas unternehmen, wenn „das Kind in den Brunnen gefallen“ sei. „In Deutschland wird viel Geld für Intervention ausgegeben, aber kaum etwas für Prävention“, bedauerte er. Als guten Ansatz lobte er die Eltern-Kind-Zentren. Bereits fünf solcher Treffpunkte gibt es im Landkreis, in denen junge Eltern Rat und Hilfe erhalten, mit ihrem Nachwuchs Kurse belegen, sich aber auch einfach nur unterhalten können. Drei weitere seien in Vorbereitung. Die Zentren werden von Kommune und Kreis finanziert.

Das Werderaner Ekiz gibt es seit anderthalb Jahren. Es ist längst zum Anlaufpunkt für Eltern und Kinder aller sozialen Schichten geworden, hieß es. Im kommenden Jahr soll es Ausgangspunkt für ein lokales Bündnis für Familien werden, kündigte Werders 1. Beigeordnete Manuela Saß an. Schon jetzt investiere die Stadt viel Geld in die Kita- und Schullandschaft und habe allein in diesem Jahr acht neue Erzieher eingestellt. Und auch die inhaltliche Arbeit funktioniere gut und zeige, dass Kinder nicht ausgegrenzt werden. In der Töplitzer Inselschule gibt es zum Beispiel eine Gitarrenklasse, in der jeder Schüler ein Instrument bekommt.

Dem Familienvater im Publikum wurde bereits vom Jugendamt geholfen: Das hatte doch noch einen Platz bei einer Tagesmutter vermitteln können. Sollte es noch einmal Probleme geben, bot Saß sofort Hilfe an. Zumindest in Werder läuft so etwas über kurze Kanäle. Thomas Lähns

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